Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
durch die grünen Hattinger Hügel. Der Hof liegt eingebettet in eine märchenhafte Landschaft. Stillgelegte Bahnstrecken ziehen sich hindurch. Hin und wieder weisen Schilder auf ehemalige Stollen hin. Ich erkläre Rahime das Phänomen des Tagebruchs, indem ich es vorspiele. Unschuldig pfeifend geht ein Partygast am Abend durch diese Hügel heim, kürzt seine Strecke ab, verlässt die Straße und – ich reiße theatralisch die Arme hoch – fällt in einen tiefen Stollen. Rahime kichert, weil ich mit so viel Schwung bei der Sache bin. Seit gestern sind wir schon dreimal zu zweit spazieren gegangen. Sie will sich frei fühlen, sagt sie, wenn sie schon geflüchtet ist, und sich nicht die ganze Zeit auf dem Hof verschanzen. Also habe ich ihr angeboten, sie zu begleiten. Ich habe die breitesten Schultern aller anwesenden Männer auf dem Hof, auch wenn sie einen Meter tiefer liegen als die Khaleds. Wir nähern uns wieder dem Gelände, und ich halte Ausschau nach Caterina, um zu prüfen, ob sie nach mir Ausschau hält. Ich praktiziere diese Spaziergänge schließlich nicht nur aus Freundlichkeit gegenüber Rahime, sondern um Caterina eifersüchtig zu machen. Es ist wie bei den Rezensionen von Nestor. Er schreibt pro und er schreibt contra, der gleiche Mann, denn: Konkurrenz belebt das Geschäft. Jetzt wird nicht länger würdelos gewinselt, sondern das Geschäft belebt.
Caterina füttert die Hühner, als Rahime und ich den Hof betreten.
»Na? Schön gelaufen?«, sagt sie und lässt sich nichts anmerken. Wie schon die anderen Male.
»Das Areal ist so riesig«, sage ich, »da hat man tagelang zu gehen. Wir könnten direkt wieder los und noch eine Runde machen, bevor es dämmert.«
»Tut euch keinen Zwang an.«
Reg dich doch wenigstens auf, denke ich. Oder ist Ruhe der neue Zorn? Bei Command & Conquer weiß ich immer genau, wie ich auf einen strategischen Zug reagieren soll. Aber hier?
»Habt ihr in den Hügeln vielleicht Nestor und Khaled gesehen?«, fragt Caterina, während die hungrigen Hühner ihre Schnäbel in den frisch bekörnten Boden rammen. »Sie sind irgendwie verschwunden.«
Ich zucke die Schultern. Rahime huscht ins Haus, an Hartmut vorbei, der mit dem Telefon in der Hand aus der Tür stürmt.
»Susanne kommt in einer halben Stunde an. In einer halben Stunde!« Seine Wangen sind knallrot. An den Schläfen üben die ersten neuen Härchen, aus denen wieder krause Koteletten werden, sich selbständig zu bewegen.
Caterina hat die Hühner versorgt, stellt den Futtereimer zur Seite und nimmt sich einen Rechen, um Laub zusammenzukratzen.
»Sie liebt es hier«, sagt Hartmut leise zu mir und schaut nachdenklich zu ihr hinüber.
»Ich weiß«, sage ich.
»Womöglich solltest du ihr einen Hof bauen.«
»Unseren Frauen ein idyllisches Landleben herzurichten ist schon mal nicht so günstig verlaufen. Das weißt du noch, oder?«
»Dann geh wenigstens weniger mit Rahime spazieren. Hm?« Er lacht, weil die Sache ernst ist. Dann riecht er sich unter den Achseln und sagt: »Oh, saure Landluft. Ich geh noch mal duschen.«
Ich bleibe allein auf dem Hof zurück, mit der harkenden Caterina.
Wahrscheinlich müsste ich ihr tief in die Augen sehen und sagen: »Ich bitte dich aufrichtig um Verzeihung. Ich sage nur noch die Wahrheit. Wir fangen von vorne an. Wir fliegen nach Los Angeles, und dort zeige ich dir den Strand von Venice und die Majestic Golfland Drivin’ Range . Und wenn wir wiederkommen, baue ich dir einen Hof, gleich hier in die Hattinger Hügel.«
Das müsste ich wohl sagen, und es bildet sich auch in meinem Kopf, aber aus dem Mund kommt nur ein leises, bettelndes: »Miu Miu?«
Sie fegt die Geräusche unter das Laub.
Um 20 Uhr fährt ein Wagen mit Kölner Kennzeichen vor. Mario, Hartmut, Caterina und ich stehen gespannt am Eingang des Gartens. Von hier bis zur Straße sind es noch fünfzig Meter Weg. Khaled und Nestor sind immer noch irgendwo unterwegs, und Jochen und Rahime zeigen sich gerade nicht. Die Türen des Wagens öffnen sich, und ein Mann steigt aus, der mir bekannt vorkommt. Er war mal Kunde bei Hartmuts Lebensberatung. Er hat auf Karteikarten Kontakte gesammelt und fast fünfhundert Menschen pro Jahr Geschenke zu jedem Anlass geschickt. Selbst seinen Feinden fühlte er sich verpflichtet. Hartmut nannte ihn »Menschen-Messie«. Er hat ihm geholfen, seine Sucht im Container des Wertstoffhofs zu versenken.
»Udo!«, schnauft Hartmut, sieht sich hastig um und schnappt sich den Rechen, mit
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