Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Jean Pütz blinzelt mir zur Begrüßung zu.
Mit der einen Hand kraule ich Irmtraut unter dem Kinn. Ihren Hals streckt sie mir so weit entgegen, dass ich befürchte, sie könnte aus ihrem Panzer schlüpfen. Mit der anderen Hand tippe ich eine SMS an Hartmut. »Bin in Köln, alles o.k. Komme heute Abend nach Hattingen. S.« Mehr kann ich jetzt nicht.
»Irmchen, ich muss jetzt duschen und dann noch mal weg, aber ich verspreche dir, bald wird alles ruhiger. So oder so. Garantiert! Dafür sorge ich.«
Irmtraut taucht ab. Ich suche mir saubere Sachen raus. Auch die Wohnung sieht vollkommen normal aus. Dieses Haus stand im Zentrum eines völlig irrsinnigen spontanen Bürgerkriegs und ist gänzlich unversehrt.
Ich dusche. Im Bademantel stelle ich mich neben das Aquarium und erzähle Irmtraut ein bisschen von Neuseeland. Ich bin wieder frisch und zu allem bereit. Bei dem Gedanken, jetzt nach Hattingen zu fahren, schlägt mir das Herz bis unter die Zunge. Es ist wirklich wahr. Jeder Schritt bringt mich näher zu Hartmut. Zumindest geographisch.
Ich gehe zur Wohnungstür und öffne sie. Vor mir steht ein Mann mit der Hand einen Zentimeter vor der Klingel.
»Udo!«
»Hallo, Susanne. Du bist ja wirklich wieder da … und du willst schon wieder weg?«
»Ja, ich muss weiter nach Hattingen. Ich wollte mich nur vergewissern, dass hier alles so weit in Ordnung ist. Der Live-Stream ist ausgefallen, als die Kämpfe tobten. Was ich davor gesehen habe, war grauenerregend!«
»Ach, das waren doch keine Kämpfe. Nur ein paar unzufriedene Kids. Nichts Schlimmes.«
»Warst du schon mal auf der Straße?«
»Ja, ach ja, wo gehobelt wird, da fallen Späne.«
»Zerbombte Häuser, zerlegte Straßen und zerstörte Autos sind Späne ?«
»Lass uns nicht über Details streiten. Das Wichtigste ist doch, dass die Schäden nun repariert oder ersetzt werden und dass dann kein Geld mehr für den Umbau da ist.«
»Davon habe ich gelesen. Aber wie kann das denn nur sein? So ein Umbau, wie er geplant war, kostet doch viel mehr als das bisschen Reparatur.«
»Ich weiß auch nicht, wie die das rechnen. Vielleicht haben die Polizeieinsätze so viel gekostet.«
Ich ziehe die Tür hinter mir zu, und wir gehen durch den Hintereingang in den »Kölsche Klüngel«. Meine Mutter sitzt an einem der Tische. Vor ihr liegen ein sehr hoher Berg mit Bestellungsbons und ein Rechnungsbuch.
»Kind, bevor du fährst, willst du da nicht noch was essen? Ich weiß doch, wie das ist. Wenn du nach so vielen Monaten deinen Mann wiedersiehst, denkt ihr nicht ans Essen, und das ist auch gut so. Aber irgendwann wirst du vielleicht ohnmächtig.«
Udo nimmt sein Telefon und macht ein paar Schritte in die Tiefe der Kneipe hinein. Mit halbem Ohr höre ich Wortfetzen.
»Ja … nein, ich ziehe mich da um … wäre ja auch sonst … ja, genau. Hm. Gut. Bis dann.«
»Was war?«, frage ich ihn, während er sein Telefon in die Tasche steckt. Er hebt den Finger und schiebt die Brauen etwas nach unten: »Wo wolltest du gleich hin? Nach Hattingen?«
»Ja.«
»Ich habe gerade einen Termin umgelegt, den ich in Witten habe. Das liegt doch im Grunde auf dem Weg. Soll ich dich nicht lieber fahren, statt dass du den doofen Regionalexpress nehmen musst? Nach all dem Reisestress?«
Ich überlege einen Moment und stimme dann zu. Udo ist ein Freund. Ich kann unbesorgt mit ihm zu meinem Mann fahren.
»Ach, ihr fahrt zusammen? Das ist ja prima. Vielleicht haltet ihr zwischendurch und esst was auf einer Raststätte. Axxe soll immer gut sein. Nicht so gut wie meine Küche, aber das müsst ihr selbst wissen. Bestell meinem Lieblingsschwiegersohn Grüße und sag ihm, er soll mal wieder vorbeikommen. Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen. Es wird Zeit, dass er sich mal wieder um seine Schwiegermutter kümmert.«
Meine Mutter steht auf, gibt mir einen Kuss auf die Wange und setzt sich wieder hin – in einer einzigen fließenden Bewegung. Ich frage mich, wie sie Hartmut nennen würde, wären wir tatsächlich verheiratet. Schwiegersohn approved and deluxe edition?
»Na dann mal auf!«, ruft Udo aus und klatscht dabei so laut in die Hände, dass Willy Millowitschs Büste und die von Ferdinand Franz Wallraf aus dem Schlaf aufschrecken. Als sie merken, dass nichts weiter passiert, schütteln sie sich und schließen wieder die Augen.
»Ja«, sage ich, »dann mal auf.«
> Ich
< Ich
Die Treuzeit
29. 03. 2011
51° 23′ 26.16″ N, 7° 14′ 29.11″ E
Ich spaziere mit Rahime
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