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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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wir.“
    „Hast du was von ihm gesehen?“ fragte Elspeth.
    „Ich habe überhaupt nicht viel gesehen“, erwiderte das Mädchen abweisend. „Es ist ja schließlich Nacht.“
    „Ich habe so etwas wie Flügelschlag gehört“, wechselte Darren das Thema. „Es könnte eine ganz gute Jagd geben, sogar hier oben.“
    „Hoffentlich hast du recht“, sagte Iondai und klopfte sich leicht auf den Magen. „Mächtig leer.“
     
    Sie bauten eine Wand aus Schnee, bogig und hoch, fest genug, um einen starken Wind auszuhalten, und in diesem kunstreichen Bau schmiegten sie sich eng aneinander und versuchten zu schlafen. Die Aerani schliefen bald ein, doch Elspeth hatte Schwierigkeiten, sich ins Unbewußte zu verlieren. Eine tiefwurzelnde Angst hielt sie wach – vielleicht die Angst, die letzten Reste ihrer Vergangenheit einzubüßen, die Angst vor einem so starken Persönlichkeitsverlust, daß sie beim Erwachen nur noch ein Tier auf einem Berg wäre, das keinen anderen Wunsch hat, als lebend in das Land jenseits der Berge zu gelangen.
    Sie sah den Erdwind vor sich, lockend, wirbelnd, jede Kurve, jeder Winkel seines komplexen Musters klar hervortretend, fast zu greifen. Wie sie sich sehnte, ihn zu berühren, mit den Fingern an den Linien entlangzufahren, um bei ihm etwas Erleichterung von ihrem Schmerz über ihren langsamen Persönlichkeitszerfall zu suchen!
    Der Erdwind war Wärme, Befriedigung, eine Möglichkeit, sich den höheren Mächten in völligem Frieden zu unterwerfen. Ehe sie starb, mußte sie es unbedingt begriffen haben; bevor sie zur leeren Tafel wurde, bereit zur Neubeschriftung, mußte sie sich die Antwort ins Hirn hämmern, wo sie begraben sein mochte, aber immer vorhanden wäre. Ihre Funde aufzuzeichnen, ihr Verstehen festzuhalten, war alles, was sie sich wünschte. Sich freien Herzens der Leere hinzugeben, ohne den kleinsten Rest von Verzweiflung … Ihr war, als hinge ihr Denken am Rande eines riesigen Loches, als schreite sie auf der rasiermesserscharfen Kante zwischen zwei Abgründen dahin, versuche, das Gleichgewicht zu halten, obwohl zwei Kräfte sie nach beiden Seiten rissen und sich bemühten, sie ins Nichts zu saugen. Stechender Schmerz schoß ihr durch den Kopf, Bilder und Stimmen tanzten und wirbelten in ihrem Schädel, und mitten darunter war das Symbol ein Hafen des Friedens, dem sie kämpfend zustrebte – doch nie konnte sie es fassen, immer glitt es zurück in die Wirrnis, versank im Chaos wirbelnder Fragmente.
    Am Morgen erwachte sie und rappelte sich mühsam hoch, fast ohne der Schmerzen in den Gliedern und Gelenken gewahr zu werden, der eisigen Steifheit im ganzen Körper nach der Nacht am Berg. Sie starrte zur Felswand hinauf und folgte dann Moirs Fußstapfen, um den Fuß des Berges herum, wo der Aufstieg nicht so steil war.
    Darren rief ihr etwas nach, und bald stapften sie alle durch den Schnee hinunter, pustend und sich die Arme um den Leib schlagend. Es wurde kaum gesprochen. Alle konzentrierten sich darauf, sich warm zu halten und die Füße so zu setzen, daß sie einigermaßen glimpflich durch diese eisige Hölle kamen.
    Der Himmel war dunkel und bedrohlich. Schwerer Nebel verhüllte das Flachland. Ein beißender Wind trieb Schneeflocken hoch in die Luft und gegen die Felswand. Immer wenn der Wind eine Schneesäule vor ihnen hochtrieb, umging Elspeth das Hindernis. Schließlich ging sie ganz gebückt und drehte den Kopf nach allen Seiten, als suche sie etwas, das sich irgendwo in der Luft versteckt hielt, etwas Böses, das auf einmal hervorkommen und sie anspringen könnte.
    Im Laufe des Vormittags wurde ihnen beim Marschieren und Steigen wärmer, doch dann kam ein Schneesturm auf und trieb sie in mächtigem Tempo voran. Sie stiegen das letzte Stück bis zum Gipfel und machten dort Rast. Es mochte Mittag sein, doch das war mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Ein riesiges Schneemeer erstreckte sich vor ihnen, meist langsam ansteigend bis zu den Klippen und der unbesteigbaren Wand des Gipfels. Doch sie mußten ihr Ziel erreichen, über diesen weißen Ozean zu der klaffenden Höhle gelangen, die – es sah fast obszön aus – den Schnee auszuspucken schien, der zwischen ihr und den hinüberstarrenden Menschen lag.
    „Wir brauchen etwas zu essen“, sagte Iondai. „Es ist ein langer Marsch – wir brauchen Wärme und Essen.“
    „Hier gibt es Weißflügler“, sagte Darren. „In der Nacht habe ich sie gehört, und heute früh habe ich sie gesehen. Wenn ich Glück habe, kann ich einen

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