Erdwind
waren alle auf dieser Welt so scharf darauf, irgendwohin zu gehen?); Ashka stolperte ein paar Schritte voran. Er stieß mit dem Kopf gegen die Decke, fluchte und ging in die Knie. Wasser war auf dem Boden, Rinnsale eisiger Flüssigkeit, die er an seine jetzt brennend heiße Stirn spritzte, um die schmerzende Stelle zu kühlen. Beim Hochblicken sah er Licht am Ende des Tunnels, weißes Licht … Tageslicht. Der Wind war nur noch ein monotones Summen, weit weg, aber ziemlich laut.
Bisher hatte er die Frage verdrängt, doch jetzt fragte er sich wieder, was dieses Aeran-Orakel eigentlich war. Eine schattenhafte, erregende Vermutung stieg in ihm auf.
Als sie sich dem Ende des Tunnels näherten, senkte sich die Decke wieder, so daß sie sehr tief gebückt gehen mußten. Der starke Wind, der vorn wehte, war hier noch stärker. Er sauste durch das Tor in diesen Gang hinein, sang durch die Felsen und heulte in dem großen Raum, der dort lag. Er glich dem Dröhnen einer Maschine, ein Geräusch, das Ashka aus seiner Eremitenzeit auf rückständigeren industriellen Welten wohlvertraut war. Er wirbelte heftig bis in den Gang hinein; mit kraftvollen Luftfingern riß er an Ashkas Robe und Nackenhaaren. Mehrmals verklebten sich seine Augen; er verzerrte blinzelnd das Gesicht vor dem Donner des gewaltigen Windkatarakts, als er schließlich hinaustrat und nach oben sah, wo der wolkenbedeckte, morgendlich dämmernde Himmel das einzige Dach war. Er stützte sich an den Wänden des Ganges, um nicht von dem unglaublich starken Anhauch fortgerissen zu werden, und sah zu der Stelle hin, auf die Iondai deutete: An einem Ende der mächtigen, dachlosen Höhle klaffte die weite Mündung eines anderen Ganges wie ein gähnendes Maul, breiter als hoch, ausgezackt an den Kanten, wo Wind und fliegende Felssplitter die Glätte des alten Wasserlaufs aufgerauht hatten.
Das Geräusch war ohrenbetäubend, der tiefe Schrei des Windes ergoß sich in diesen Tunnel und ertränkte jeden Laut außer dem seiner Gedanken. Iondai wandte sich lächelnd zu ihm um, die Augen im kalten Wind zusammengekniffen.
„Das ist es?“ schrie Ashka und deutete hin. Iondai nickte eifrig. „Sonst nicht so stark“, schrie er zurück. „Dauert nicht lange … flaut ab … wollen warten.“ Er winkte zu dem engen Gang hin; Ashka wandte sich um, bückte sich und trat wieder in den verhältnismäßig ruhigen Gang zurück. Dieser großartige Naturlaut klang ihm noch in den Ohren. Er zitterte am ganzen Körper vor der schneidenden Kälte. Er hockte sich in dem niedrigen Tunnel hin und starrte ins Tageslicht.
Nach einer Weile bekam die Neugier nach der Herkunft des Windes die Oberhand, und er kroch zum Ausgang dieses Tunnels zurück. Iondai faßte ihn an der Schulter und rief: „Warte!“ oder so etwas ähnliches. Ashka hielt inne, sah ihn an und wandte sich dann wieder dem Tageslicht zu. In diesem Augenblick flaute der Wind ab und erstarb rasch zu einem traurigen Singen, keineswegs mehr donnernd – als hätte die Erde das Ende eines langen, schmerzvollen Ausatmens erreicht, als sei der Gezeitenhub erschöpft; ein Laut sehr ähnlich dem letzten Atemzuge eines Mannes, der friedlich in das tao eingeht, so wie Ashka bald hinübergehen würde – Atem und Leben, die sich zu einem kurzen und sofort erkennbaren Todeslied vereinigten.
Sie traten in die oben offene Höhle hinaus, und Ashka war sofort besessen von dieser Ekstase der Geistseele, die uns überkommt, wenn sich ein Traum, den wir für unrealisierbar hielten, unerwartet erfüllt.
Er stand in einem polarisierten Windstrom, der um seinen Körper spielte, durch seine Robe, durch Haut und Muskeln, Fleisch und Bein fuhr, durch Kapillaren und Poren in seinem Leib, die kein medizinisches Lehrbuch im Krankenrevier seines Schiffes verzeichnete.
Er starrte in den Mutterschoß der Erde.
„Das Orakel! Dies ist das Orakel, die Stimme der Zukunft – ich erkenne es, ohne daß du es mir zu sagen brauchst. Überall würde ich es erkennen!“
„Lied der Erde“, sagte Iondai. „Getragen vom Wind, der aus der Erdhöhle bläst, aus der der Erdwind erstmals zu uns kam. Faß ins Wasser.“ Er bückte sich zu dem kristallklaren Bächlein, das zu ihren Füßen floß. Ashka bückte sich und ließ seine Finger die wirbelnde Wasserfläche berühren, den kleinen Bach, in dem der kraftvolle Wind muntere kleine Wellen aufrührte. Er machte es wie Iondai, benetzte Augen, Ohren und Lippen mit diesem Wasser, und dabei starrte er in den grundlos
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