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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Münzen fielen auf die trockene Erde, von der er die Felle weggezogen hatte.
    (Irgend etwas stimmte nicht. Da war eine unbekannte Spannung, Ashka spürte sie ganz deutlich, als er Iondais Einstellung zum ching im Geiste wahrnahm – etwas lief da ganz falsch. Schwer zu sagen, was es war.)
    Zweimal lagen die Zahlen oben – Ashka notierte die Würfe als gebrochene Linien in den Sand.
    (Falsch: Iondai hatte nicht die direkte Verbindung zum ching; nur Zufallswürfe ohne Einfluß und Wert; das ching war überhaupt nur gegenwärtig, weil Ashka dabei war und darauf drang – es lag zwischen den beiden Männern, lebend zwar und sensitiv, aber es tat nichts. Schrecklich falsch!)
    Schütteln – der dritte Wurf. Iondai merkte nicht, daß da etwas falsch lief, doch Ashka spürte eine plötzliche Panik, sein ganzer Leib wurde kalt und steif …
    „Halt!“ rief er, faßte zu und strich die Münzen vom Boden. „Hör auf! Es stimmt nicht!“
    Erschrocken sah Iondai ihn an. Das unvermittelte Schweigen, ihre starren Blicke waren beängstigend.
    „Entschuldige“, sagte Ashka, „da stimmte etwas nicht. Das ching hat bei dir nicht funktioniert, überhaupt nicht, nicht einmal andeutungsweise. Ich begreife nicht, warum, aber so ist es nun einmal. Tut mir leid.“
    Iondai lächelte unsicher. „Laß nur. Frag du doch dein ching – du bist doch schließlich der Seher.“
    „Ja.“ Ashka starrte auf die Münzen; die eine war halb im feinen Sand begraben. „Man nennt mich übrigens Rationalist, nicht Seher.“ Er nahm die Münzen auf und merkte, daß seine Hände zitterten. Oder sollte ich lieber Irrationalist sagen, dachte er bitter, als ihm bewußt wurde, daß er die Erkenntnis von etwas anderem verdrängte, eine furchtbare Erkenntnis, über die völlige Klarheit zu gewinnen ihm sein Unterbewußtsein offenbar nicht gestatten wollte.
    Sekundenlang schloß er die Augen und war froh, daß Iondai achtungsvolles Schweigen bewahrte.
    Das ching war krank. Welches andere Wort gäbe es dafür? Bei dieser vorzeitig abgebrochenen Befragung war ihm klar geworden, daß hinter diesen Linien keine lebendige Erkenntnis stand, sondern etwas … Fernes. Es war, als zöge sich das ching zurück und griffe trotzdem mit aller Kraft, die es aufbringen konnte, in das Gewebe des Universums. Es wurde aus Raum und Zeit herausgezogen oder -gestoßen. Es litt, es litt schrecklich … Er hatte das schon einmal gespürt, als Gorstein das ching konsultierte, und hatte gedacht, es sei Eifersucht. Eifersucht auf das hiesige Orakel. Doch es war keine Eifersucht, es war etwas Endgültigeres, weit Vernichtenderes. Siechtum, Krankheit, der Anfang zum Tode. Elspeth hatte ihm gesagt, was er zu erwarten hatte – nicht mit deutlichen Worten, aber gesagt hatte sie es, und weil er es nicht gleich spüren konnte, weil es nicht zu geschehen schien, hatte er es verdrängt. Aber sie hatte recht gehabt.
    „Nein, nein!“
    Er öffnete die Augen, starrte Iondai leeren Blickes an. Dieser musterte ihn unbewegt und fragte: „Was ist nicht in Ordnung?“
    Er wollte aufspringen und weglaufen, fliehen vom Aeran, so schnell der Antriebsschub des Schiffes ihn nur tragen konnte. Doch Gorstein würde nicht auf ihn hören. Panik war sinnlos.
    „Nichts ist in Ordnung“, erwiderte er; „aber vielleicht ist es nicht ganz so schlimm – Anpassungs- und Akklimatisationsschwierigkeiten. Vielleicht aber ist es viel schlimmer.“ Wieder starrte er auf das ching. Sein Mund war trocken, seine Haut eiskalt. „Mein Orakel stirbt.“
    „Stirbt? Ich denke, es gibt keinen Tod?“
    „Es schwindet. Es ist, als ob … als ob jemand es wegstößt.“
    „Das ching kommt doch aus dem Inneren, nicht wahr? Wenn etwas nicht stimmt, dann muß es also an deinem Geist liegen, nicht an den Zeichen in deinem Buch.“
    Ashka beugte den Kopf. Dieser primitive Mensch hatte diese einfache Tatsache ausgesprochen, während Ashka nicht imstande war, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Natürlich hatte Iondai recht. Nicht das ching war im Schwinden, sondern er, Peter Ashka! Doch was änderte das? Der Effekt war der gleiche.
    „Frage es rasch, solange du noch kannst“, sagte Iondai; und ohne zu zögern schüttelte Ashka die Münzen und konzentrierte sich auf seine Frage.
    Fast sofort spürte er es, das ching, die große Kraft des Orakels, lebendig, stark, nur mit einer ganz kleinen Unsicherheit, kaum der Rede wert. (Vielleicht ist es doch noch nicht zu spät). Ashka warf seine Angst weit hinter sich, befaßte sich kurz

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