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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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nie erkannt hatte, wie nahe er bei seiner Todesvoraussage daran gewesen war, von der Regel abzuweichen; es war selbstverständlich kein Absolutum – wenn er wollte, könnte er zweifellos seinen Termin hinausschieben – mit einer Therapie zum Beispiel, oder durch Lebensverlängerung im Koma … aber wozu? Warum nicht friedvoll entspannt verlöschen? Dagegen war nicht das geringste einzuwenden, und die Voraussage würde eintreffen, genau wie er das Ereignis umschrieben hatte. Die Präzision von Frage und Antwort hatte jedoch das ching und den Fragenden gefährlich nahe an jene furchterregende Leere herangebracht, wo das tao selbst eher das Echo eines Energie-Zeit-Systems ist als die Matrix, in welcher diese bizarren Echos aufklingen und solche gelegentlichen und sehr flüchtigen Blicke auf ein mehr sachlich bestimmtes Resultat gestatten.
    Jedesmal, wenn Ashka an diese Frage dachte, zitterte er bei dem Gedanken, wie nahe er daran gewesen war, seine eigene Beziehung zum ching zu zerstören. Das würde er Iondai überhaupt nicht erklären können.
    „Tod“, wiederholte er nochmals. „In meinem Universum gibt es keinen Tod – Aufhören des Körperlichen, gewiß; doch der Geist besteht weiter. Ich habe das ching gefragt, wie lange es noch bis zu meinem körperlichen Tod ist … und da hat es gesagt: sieben …“ – Rasch rechnete er sieben Monate in die Aerani-Zeit um – „… zwölf Fackel-Zyklen. Ich werde nicht dagegen ankämpfen.“
    Ihm fiel der unwichtige Umstand ein, daß er keine Ahnung hatte, was ein Fackel-Zyklus dem Sinne nach war – vielleicht das Anzünden der Fackeln auf den Erdwällen. Wie unwissend man sein konnte, ohne es zu merken, und sogar ohne daß andere es zu merken brauchten. Kopfschüttelnd starrte Iondai auf das Buch der Wandlungen. „Wie kann ein Orakel funktionieren, wenn es nicht klar und deutlich sagt, was geschehen wird?“ Bei dieser Frage nahm er das ching vom Boden auf. Ashka empfand dabei nichts von dem Mißbehagen, das er gespürt hätte, wenn, sagen wir, Gorstein oder Elspeth das Buch in die Hand genommen hätte. „Wie befragt man es?“
    „Zuerst führt man eine Serie zufälliger Entscheidungen herbei. Man wirft diese Metallscheiben und zeichnet auf, wie sie fallen. Auf diesen Vorgang hat der Fragende wahrscheinlich keinen Einfluß, aber, wie gesagt, während der Befragung sind Buch und Fragender eng miteinander verkettet, und die entstehende Voraussage ist sehr abhängig von der angeborenen … clairvoyance? … also von der Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, die allen Menschen eigen ist. Jedoch …“ – Er nahm Iondai das Buch aus der Hand und wischte mit unbewußter Pedanterie über die Stellen, wo die Finger des Sehers das kostbare Stück berührt hatten – „jedoch die meisten Menschen besitzen nur sehr geringe Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Und jetzt komme ich. Ich helfe bei der Auslegung, aber ich kann auch die ungeordneten Gedanken des Fragenden auf den rechten Weg bringen, während er unter den mehreren wirklichen und eingebildeten Voraussagen nach der richtigen sucht – nach dem Pfad, auf dem er zu ihr schreitet. Ich weiß natürlich nicht, was in seinem Geist vor sich geht, und ich kann das Resultat nur mittels des Orakels sehen – doch mein Einfluß ist oft von großer Bedeutung.“
    „Machen wir’s kurz – wie befrage ich dein Orakel?“
    Ashka wußte, daß es unmöglich war, ihm das verzwickte Verfahren in ein paar Minuten zu erklären. Es wunderte ihn keineswegs, daß er eine halbe Stunde dazu brauchte – aber er war dann tatsächlich überrascht, daß Iondai das Orakel anscheinend völlig begriffen hatte. Doch inzwischen hatte er gemerkt, daß er sich auf die erstklassige Intuition des alten Sehers voll und ganz verlassen konnte.
    „Und deine Frage?“
    „Es geht mir darum, ob es weise ist, die Monitoren anzunehmen“, sagte Iondai.
    Eine höchst überraschende Frage. Gerade diese hatte Ashka nicht erwartet. Es war dessen ungeachtet eine ausgezeichnete Frage – sie suchte Voraussage und Führung, ganz gleich, wie die Antwort ausfiel.
    „Dann wirf also die Münzen“, sagte er und beobachtete den Alten mit umfassender, tiefbewußter Aufmerksamkeit. Lange schüttelte Iondai die Münzen, horchte auf ihr Klingen beim Aneinanderschlagen, den metallischen Klang von archaischem Nickel, das gegen archaisches Nickel schlug, einen Klang, den er in seiner von Knochen und Stein geprägten Kultur noch nie vernommen hatte. Er öffnete die Hände. Die

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