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Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Titel: Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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hat, welches Rätsel seht Ihr in mir?«
    Die Augen des Harfners lösten sich plötzlich von Morgons Gesicht. Er erwiderte nichts. Morgons Stimme wurde lauter: »Ich frage Euch: Wer war Ingris von Osterland, und warum mußte er sterben?«
    Thod ließ Morgons Arm los. Auf seinem Gesicht stand ein
    seltsamer Ausdruck.
    Nach einem Moment des Schweigens sagte er: »Ingris von Osterland erzürnte eines Abends Har, den König von Osterland, als dieser in Gestalt eines Greises an Ingris’ Tür klopfte und Ingris sich weigerte, ihn aufzunehmen. Da verhängte der Wolfskönig diesen Fluch über ihn: Wenn der nächste Fremde, der bei Ingris anklopften sollte, nicht seinen Namen nannte, dann sollte Ingris sterben. Und der erste Fremde, der erschien, nachdem Har weitergezogen war, war - ein gewisser Harfner. Dieser Harfner gab Ingris alles, worum er bat: Lieder, Sagen, Harfenspiel, die Geschichte seiner Wanderungen - alles, nur nicht den Namen. Den aber wollte Ingris hören und bat ihn in Verzweiflung darum. Doch der Harfner konnte Ingris, jedesmal, wenn dieser fragte, nur ein Wort geben, und dieses Wort war, so wie Ingris es vernahm, Tod. Voll tiefer Furcht vor Har und in Verzweiflung über den Fluch spürte Ingris, wie sein Herz zu schlagen aufhörte, und er starb.«
    Thod schwieg.
    Morgon, dessen Gesicht immer stiller geworden war, während er zugehört hatte, sagte stockend: »Ich hätte nie gedacht. Ihr hättet Ingris Euren Namen nennen können. Euren wahren Namen. Der Lehrsatz heißt: Gib anderen, was sie von dir für ihr Leben brauchen.«
    »Morgon, gewisse Dinge konnte ich Ingris nicht geben, und gewisse Dinge kann ich auch Euch jetzt nicht geben. Aber eines will ich schwören: Wenn Ihr diese schwere Reise zum Er- lenstern-Berg vollendet, will ich Euch alles geben, worum Ihr mich bittet. Ich will Euch mein Leben geben.«
    »Warum?« flüsterte Morgon.
    »Weil Ihr drei Sterne tragt.«
    Morgon sagte nichts. Dann schüttelte er zaghaft den Kopf.
    »Nie werde ich das Recht haben, das zu verlangen.«
    »Die Wahl liegt bei mir. Habt Ihr daran gedacht, daß der Lehrsatz auch auf Euch anwendbar ist? Ihr müßt anderen geben, was sie von Euch brauchen.«
    »Und wenn ich das nicht kann?« »Dann werdet Ihr sterben wie Ingris.«
    Morgon schlug die Augen nieder. Er saß reglos auf seinem Pferd, während die Winde im Reigen um ihn herum tanzten, an seinem Haar zupften, an seinem Umhang. Schließlich wendete er sein Pferd und ritt langsam zurück zur Wache, und schweigend setzten sie ihre Reise zur Stadt der Kreise fort.

 
Kap. 6
    Die Morgol von Herun hieß sie im Hof ihres Hauses willkommen. Sie war eine hochgewachsene Frau mit blauschwarzem Haar, das ihr, streng aus dem Gesicht gekämmt, glatt und gerade über das lose Gewand aus laubgrünem Tuch fiel. Ihr Haus war ein weites Oval aus schwarzem Stein. Das Wasser des Flusses, der zu seinen Füßen dahinströmte, spielte über steinerne Brunnen in ihrem Hof, bildete kleine Bäche und Teiche, wo Fische wie rote und grüne und goldene Flammen unter dem Schattenspiel der Bäume hin und her schössen.
    Die Morgol trat an Thods Seite, als er vom Pferd stieg, und lächelte ihm entgegen. Sie waren von gleicher Größe.
    »Ich wollte nicht, daß Lyra dich stört«, sagte sie. »Ich hoffe, dieser Abstecher kommt dir nicht ungelegen.«
    Ein Lächeln spielte um seinen Mund. In seiner Stimme lag ein Ton, den Morgon nie zuvor gehört hatte.
    »El, du weißt, daß ich dem Fürsten von Hed folgen würde.«
    »Aber wie könnte ich das gewußt haben? Du hast stets selbst deinen Weg bestimmt. Aber es macht mich froh, daß du gekommen bist. Ich träume von deinem Harfenspiel.«
    Mit ihm trat sie zu Morgon, während schweigsame Frauen ihre Pferde aus dem Hof führten und andere ihr Gepäck ins Haus trugen. Ihre seltsamen goldgefleckten Augen betrachteten ihn. Sie streckte ihm ihre Hand hin.
    »Ich bin Elrhiarhodan, die Morgol von Herun. Nennt mich El. Ich bin sehr froh, daß Ihr gekommen seid.«
    Er neigte seinen Kopf, war sich plötzlich seiner staubigen Kleider und seines zerzausten Haares bewußt.
    »Ihr habt mir keine Wahl gelassen.«
    »Nein«, antwortete sie sanft, »ich habe Euch keine Wahl gelassen. Ihr seht sehr müde aus. Aus irgendeinem Grund meinte ich, Ihr müßtet älter sein, sonst hätte ich abgewartet, Euch dieses Rätsel selbst mitzuteilen, anstatt Euch so sehr damit zu erschrecken.« Sie wandte den Kopf, um Lyra zu begrüßen. »Danke dir, daß du mir den Fürsten von Hed gebracht

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