Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

durch das Sumpfland von Herun jagt. Wenn Ihr nach Hed zurückkehren wollt, dann bring ich Euch dorthin. Aber denkt erst nach, Morgon. Ihr seid geschult zu denken. Ich kann Euch durch die Sümpfe führen, aber was werdet Ihr dann tun? Werdet Ihr durch Ymris zurückkehren? Oder mit einem Schiff von Osterland aus?«
    »Ich werde um Ymris einen Bogen schlagen und nach Lun- gold reiten - ich werde die Handelsstraße nach Caithnard nehmen - ich werde mich als Händler verkleiden - «
    »Und wenn das Glück Euch so lange treu sein sollte, daß Ihr Hed erreicht, was wollt Ihr dann tun? Namenlos werdet Ihr für den Rest Eures Lebens an diese Insel gefesselt sein.«
    »Ihr versteht mich nicht!« Seine Augen waren wild wie die eines Tieres, das in der Falle sitzt. »Mein Leben ist mir vorbestimmt worden - vorbestimmt von etwas - von jemandem, der meine Handlungen sah, noch ehe ich selbst auch nur einen Grund für sie erkennen kann. Wie ist es möglich, daß Yrth mich schon vor Hunderten von Jahren gesehen hat, um mir diese Harfe zu bauen? Wer ist es, der mich vor zweitausend Jahren gesehen hat und mein Leben in dieses Rätsel einsperrte, das den Morgol Rhu tötete? Man zwingt mich auf einen Weg, den ich nicht erkennen kann, den ich nicht selbst bestimmen kann - man gibt mir einen Namen, den ich nicht haben will - , ich habe ein Recht der Wahl! Ich wurde geboren, Hed zu regieren, und dort gehöre ich hin - das ist mein Name und mein Platz.«
    »Morgon, Ihr mögt Euch selbst als der Fürst von Hed sehen, aber es gibt andere, die Antworten auf eben jene Fragen suchen, die Ihr stellt, und sie werden Euch diesen Namen geben: Sternenträger, und es wird keinen Frieden für sie geben, bis Ihr tot seid. Niemals werden sie Euch friedlich in Hed leben lassen. Sie werden Euch dorthin folgen. Wollt Ihr die Tore von Hed für Eriel öffnen? Für jene, die Athol töteten und auch Euch töten wollen? Glaubt Ihr, sie werden Erbarmen haben mit Euren Bauern, mit Eurem zahnlosen Schweinehirten? Wenn Ihr jetzt nach Hed zurückkehrt, dann wird der Tod mit Euch reiten, und Ihr werdet ihn hinter den offenen Türen Eures Hauses wartend vorfinden.«
    »Dann werde ich eben nicht nach Hed zurückkehren.« Sein Gesicht verriet den Kampf, der in ihm vorging; er wandte es von Thod ab. »Ich will nach Caithnard gehen und mir das schwarze Gewand erwerben, um dort zu lehren - «
    »Was wollt Ihr lehren? Die Rätsel, die Euch keine Wahrheit sind, die nicht mehr sind als alte Sagen, bei Abenddämmerung gesponnen - «
    »Das ist nicht wahr!«
    »Und was ist mit Astrin? Mit Heureu? Auch sie sind in das Rätsel Eures Lebens eingebunden; sie brauchen Euren klaren Blick, Euren Mut - «
    »Ich habe keinen! Nicht dazu. DenTod wenigstens habe ich gesehen; ich kann ihm ins Auge schauen und ihm einen Namen geben, dies aber - dieser Weg, der sich da vor mir entrollt - , den kann ich nicht einmal sehen! Ich weiß nicht, wer ich bin, wozu ich geboren wurde. In Hed habe ich wenigstens einen Namen!«
    Thods Stimme wurde leiser. Er hatte den Abstand, den Mor- gon zwischen sie gelegt hatte, überwunden; seine Hand umfaßte behutsam Morgons Arm.
    »Es gibt einen Namen für Euch jenseits von Hed. Morgon, wozu taugen die Rätsel und Lehrsätze von Caithnard, wenn nicht für dies? Ihr seid Sol von Isig, schwankend vor Furcht zwischen dem Tod und einer Tür, die seit Jahrtausenden verschlossen ist. Wenn Ihr keinen Glauben an Euch selbst habt, dann habt Glauben in die Dinge, die Ihr die Wahrheit nennt. Ihr wißt, was zu tun ist. Ihr mögt nicht den Mut oder das Vertrauen oder das Verständnis oder den Willen haben, es zu tun, aber Ihr wißt, was getan werden muß. Ihr könnt nicht umkehren. Es liegt keine Lösung hinter Euch. Ihr fürchtet das, was Ihr nicht beim Namen nennen könnt. Darum seht es Euch an und findet einen Namen dafür. Schreitet vorwärts und lernt. Tut, was getan werden muß!«
    Die Winde jagten fauchend über die Ebene, brachen sich an ihnen, warfen einen silbernen Schimmer über das Gras. Hinter ihnen wartete die Wache der Morgol.
    Morgon hob langsam den Kopf.
    »Es ist nicht Eure Sache, als Harfner des Erhabenen, mir solchen Rat zu geben. Oder sprecht Ihr mit mir als einer, der von Rechts wegen das Schwarz des Großmeisters tragen kann? Kein Rätselmeister in Caithnard hat mir je diesen Namen gegeben: >Sternenträger<; keiner wußte je, daß es ihn gibt. Und doch nehmt Ihr ihn an, als hättet Ihr ihn erwartet. Welche Hoffnung, die niemand außer Euch je geschaut