Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
nach Anuin befindet, zu finden und gegen alle Lebenden und gegen alle Toten zu schützen.«
»Ich schwöre es.«
»Daß Ihr keinem außer den Königen von Hel sagen werdet, worauf Ihr Euch verschworen habt.«
»Ich schwöre es. In meinem Namen, im Namen der Könige von Hel und bei dieser Krone.«
Wie er da im Licht der Morgendämmerung stand, den Geschmack der Unterwerfung in seinem Munde, sah er beinahe lebendig aus. Lautlos sog sie die Luft ein und stieß sie wieder aus.
»Gut. Ich schwöre im Namen meines Vaters und im Namen des Mannes, den Ihr begleiten werdet, daß ich Euch Euren Schädel geben und keine weiteren Forderungen an Euch stellen werde, sobald ich den Mann im Hause der Könige in Anuin sehe. Alle Bindungen zwischen uns sind dann zerrissen. Nur eines verlange ich noch - daß Ihr es mich wissen laßt, wenn Ihr ihn gefunden habt.«
Er nickte kurz. Seine Augen trafen den schwarzen, hohlen, spöttischen Blick des Schädels. Dann wandte er sich um und stieg auf sein Pferd. Einen Moment noch blickte er auf sie hinunter, ehe er sich in Bewegung setzte, und sie sah die Ungläubigkeit in seinen Augen. Dann ritt er fort, lautlos wie der Morgenwind.
Als sie selbst aus dem Wald herausritt, begegnete sie Hallard Schwarze und seinen Leuten, die sich herausgewagt hatten, das tote Vieh in den unteren Feldern zu zählen. Er starrte sie entgeistert an; seine Stimme war ohne Kraft, als er sprach.
»Seid Ihr es selbst oder ist es ein Geist?«
»Ich weiß es nicht. Ist Cyn Croegs Stier tot?«
»Sie haben ihn zu Tode gehetzt - kommt zum Haus.« In seinen Augen, aus denen die Bestürzung gewichen war, stand jetzt ein merkwürdiger Ausdruck: halb besorgt, halb ehrfürchtig. Zögernd hob er die Hand und berührte sie. »Kommt ins Haus. Ihr seht - Ihr seht -«
»Ich weiß. Aber ich kann nicht. Ich reite nach Anuin.«
»Jetzt? Wartet! Ich gebe Euch Begleitschutz mit.«
»Den habe ich schon.«
Sie sah, wie seine Augen zu dem Schädel glitten, der vor ihr auf dem Sattel lag. Er schluckte.
»Ist er gekommen, ihn sich zu holen?«
Sie lächelte schwach. »Ja, er kam. Wir haben ein wenig gefeilscht -«
»Bei Oen!« Er versuchte gar nicht, das Schaudern zu verbergen, das ihn überfiel. »Keine hat je mit Farr gefeilscht. Worum? Die Sicherheit von Anuin?«
Sie holte Atem. »Nein. Nicht direkt.« Sie zog die Perlenkette aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. »Danke Euch. Ohne sie hätte ich nicht überleben können.«
Als sie sich vom Pferd neigte, um ein Gatter zu öffnen, blickte sie noch einmal zurück und sah ihn reglos neben einem toten Ochsen stehen, wie er noch immer auf die Handvoll wertloser, vom Feuer geschwärzter und gesprungener Perlen starrte.
Begleitet von einem wachsenden, unsichtbaren Zug von Königen ritt sie durch Hel. Sie spürte ihre Anwesenheit, ertastete den Geist jedes einzelnen, bis sie alle ihre Namen wußte: Acor, der mit Gewalt und Überredungskunst die letzten der zänkischen Ritter unter seiner Hand geeint hatte; Ohro, der Verfluchte, der zugesehen hatte, wie sieben seiner neun Söhne nacheinander in sieben aufeinanderfolgenden Schlachten zwischen Hel und An gefallen waren; Nemir von den Schweinen, der sowohl die Sprache der Schweine als auch der Menschen gesprochen hatte, der den Eber Hegdis-Tag aufgezogen und die Zauberin Madir als seine Schweinehirtin gehabt hatte; Evern, den Falkner, der Falken zur Schlacht gegen die Menschen geschult hatte; und andere, lauter Könige, wie Farr geschworen hatte, die ihn, den letzten der Könige, auf seiner Reise zur Hochburg der Könige von An begleiteten. Sie sah sie selten; doch sie spürte sie um sich herum, spürte ihre Gedanken, die sich in einem Netzwerk von Sagen, Legenden, Verschwörungen, Erinnerungen an Hel zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tode verflochten. Sie waren noch immer an die Erde von An gebunden, stärker als selbst sie es gewahr waren; ihr Geist wandelte leicht zwi-schen den verschiedenen Gestalten, mit denen ihre Gebeine sich verwoben hatten: Wurzeln, Blätter, Insekten, die kleinen Körper toter Tiere. Durch dieses tiefe, wortlose Wissen um An würden sie den Sternenträger erkennen, den Mann, dessen Gestalt nichts vom Wesen Ans barg.
Sie hatten ihn schnell gefunden. Farr brach sein Schweigen, um es sie wissen zu lassen; sie fragte nicht, welche Gestalt er angenommen hätte. Die Könige umgaben ihn in lockerer Runde, während er das Land durcheilte: als Hirsch vielleicht, der erschreckt von ihrer Anwesenheit über ein
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