Erfolg
Hände, standen, die harte, dickgeäderte, schwitzende Hand des Flaucher in der harten, langnägeligen, schwitzenden des Kutzner. »Der Rütlischwur«, ruft aus dem Saal eine sonore Stimme, die des Schauspielers Konrad Stolzing. »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern«, spricht er vor, ergriffen, und ergriffen wiederholt es der Saal, »in keiner Not uns trennen und Gefahr.«
Flaucher steht auf dem Podium, Hand in Hand mit dem Führer, steif, unbehaglich. Er überlegt: wenn er vor Mitternacht hier loskommt, dann ist es gewonnen, dann ist es noch Zeit, dann kann er noch alles deichseln zur Rettung des Vaterlands. Er möchte seine Hand zurückziehen, aber in dieser Situation geht es nicht gut, auch hält ihn der Kutzner fest. »Wir wollen frei sein, wie die Väter waren«, tönt es von unten, erst die sonore Stimme, dann der Saal, »eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.« Eine Mordsstimme hat der Kerl. Wenn man nur wüßte, wieviel Uhr es ist. Sakrisch lang dauert so ein Rütlischwur. Und schwitzen tut der Kutzner.
Endlich kann der Landesverweser vom Podium wischen, hinaus in den Vorraum. Auf der Toilette schaut er auf dieUhr. Zehn Uhr achtzehn. Gott sei Dank, er hat noch Zeit. Er tritt ins Freie, niemand hält ihn. Gierig saugt er die kalte Luft ein. Jetzt ist er nicht mehr Landesverweser von Gnaden des Monteurs Rupert Kutzner, jetzt ist er wieder solider bayrischer Beamter wie seit dreißig Jahren.
Er steigt ins Auto, wischt sich mechanisch die Hand am Polster. Seine Schultern sind schlaff, aber sein Gesicht ist verbissen. Seine Pflicht verlangt, daß er jetzt einen ungeheuren Klumpen Dreck hinunterschluckt. Das ist unangenehm, aber ein bayrischer Beamter tut seine Pflicht.
8
Cajetan Lechners rauhester Tag
Der Altmöbelhändler Cajetan Lechner saß im Kapuzinerbräu, als dort die Revolution ausbrach. Hörte mit an den historischen Schuß, die Rede Kutzners, schaute mit eigenen Augen, wie der Führer und der Staatskommissar Hand in Hand auf dem Podium standen. Das Herz ging ihm auf. Schon sah er wieder das Schrankerl in deutschem, in seinem Besitz, träumte schon das gelbe Haus befreit von seinem fremdrassigen Räuber. Gewaltig in das blaugewürfelte Taschentuch schneuzte er, mächtig aus dem kropfigen Hals schrie er Heil. Viele Krüge Bieres leerte er. Nur eines wurmte ihn in dieser historischen Nacht: daß er seinen Photographenapparat nicht mit hatte, daß er nicht für die Nachwelt in einem künstlerischen Bild hatte festhalten können den grauen Tonkrug, aus dem der Führer sich stärkte nach der Verkündigung der nationalen Einheit, oder die beiden Hände, des Kutzner und des Flaucher, wie sie vereint lagen im Treuschwur.
Die Nacht rückte vor. Von außen immerzu der Trommelwirbel anziehender Truppen. Ordonnanzen und Kellnerinnen mit Orders und Bier. Allmählich wurde der Alte müde.Aber er ging nicht nach Haus, er schlief, zusammen mit vielen andern, im großen Saal des Kapuzinerbräus, der als Heerlager hergerichtet war.
Nicht aber schliefen die Führer. Sie wachten, sie regierten. Im ersten Stock hatte Kutzner sein Oberkommando aufgeschlagen. Alles war gut abgelaufen, es war auch ohne den Klenk gegangen, er hatte die Miesmacher strahlend widerlegt. Er arbeitete, erließ Aufrufe, verkündete das Standrecht, die Einsetzung eines nationalen Staatstribunals.
In der Stadt unterdes feierten die Wahrhaft Deutschen ihren leichten Sieg. Verwüsteten das Gebäude der verhaßten Linkszeitung, plünderten es aus, zerschlugen die Maschinen, die Setzkästen, schmissen johlend die Büsten der Sozialistenführer zum Fenster hinaus. Verhafteten an Hand einer schwarzen Liste Parteifeinde aller Art, Abgeordnete und Stadträte der Linken, Juden in gehobener Stellung. Schleppten die Gefangenen herum, unterhielten sie durch langsame, umständliche Erwägungen, wo und wie man sie am besten erledige, ob durch Hängen an diesen Baum oder an jenen Laternenpfahl, ob durch Erschießen an dieser Mauer oder an jenem Sandhaufen. Besonders Mißliebige wurden gröblich mißhandelt, bespuckt, ihrer Kleidung beraubt. Man hielt Kriegsrat über sie, führte sie mit vorgehaltenen Maschinenpistolen in ein Gehölz, eröffnete ihnen, jetzt sei es soweit.
Kutzner und Vesemann, im provisorischen Oberkommando, erließen noch immer Aufrufe. Die Nacht rückte vor, gewisse Nachrichten aus den Kasernen, die längst da sein mußten, wollten nicht eintreffen. Man telefonierte nach Flaucher, nach dem Landeskommandanten, schickte
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