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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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erlebter Anspannung alle seine Gedanken darauf richtet, aus der Gefahr herauszukommen, ringsum äugend, was geschieht und wie sich die andern anstellen, findet Zeit, einige allgemeine und einige besondere Beobachtungen zu machen. So ist das also, mein Lieber, mit Krieg und Schlacht und Vorstürmen, mit Vaterland und Revolution. Verflucht ungemütlich, Herr Nachbar. Eine Sauerei, Herr Nachbar. Er sieht das graue Auto des Führers, wie es umdreht, wie es mit Vollgas, rücksichtslos, durch die dichten Menschen davonfährt. Wie gern säße er darin. Es kommen noch ein paar Schüsse. Er sieht, vom Boden aus schräghinauf lusend, wie die Kugeln an der Mauer zerspritzen. Schad, daß er seinen Apparat nicht dabei hat. Einige richten sich hoch, laufen fort, geduckt. Trampeln über ihn weg. Herrschaftseiten, das war sein Arm. Schießen die weiter, die Saubazi? Eine Mauer her. An der Mauer zerspritzen die Kugeln. Er möchte hinter so eine gute, steinerne Mauer, durch die die Kugeln nicht durchkönnen. Jetzt ist schon wieder einer auf seinem Rücken. Hundskrüppel, saugrober. Das ist doch keine Art nicht. Eine Kugel kommt geflogen, gilt sie mir oder gilt sie dir? Gescherter Rammel. Er schnauft, es wird ihm weh und weich am ganzen Leib.
    Er will da fort. Er wird jetzt einfach fortlaufen. Es scheint stiller, es hat ganz kurz gedauert. Rings um ihn die meisten stehen auf, äugend, laufen, verdrücken sich. Es ist schon ganz leer um ihn. Der Boden ist bedeckt mit Waffen. Herrgottsakra, hier treten sie ihn noch zu Tod. Er richtet sich hoch, auch er. Schon schiebt es ihn mit, reißt es ihn mit in eine Seitenstraße.
    Hier, Gott sei Dank, ist es still, hier fliegt nichts herein, hier ist es gut. Jetzt merkt er erst, wie schwach er ist, weich und weh und überall wie aus Watte.
    Die Schießerei hatte keine zwei Minuten gedauert. Vor den ersten Kugeln der Reichswehr war der ganze Zug zerstoben. Nicht allen aber war das gut hinausgegangen wie dem Cajetan Lechner, nicht alle waren zerstoben; viele Verwundete lagen, achtzehn Tote auf dem Odeonsplatz.
    Unter ihnen zum Beispiel der Gymnasiallehrer Feichtinger. Er hatte mitgeholfen, den Mann Krüger zu verurteilen. Dann hatte er zwei blaue Hefte benötigt, war, um sie zu kaufen, erst am Isartorplatz umgestiegen statt am Stachus, war bestraft worden, hatte sich erbittert dem Kutzner angeschlossen. Nun lag er vor der Feldherrnhalle. Er war sein Leben lang stolz darauf gewesen, daß ihm die Brillengläser nie zerbrochen waren. Sie waren auch jetzt unversehrt; aber der Gymnasiallehrer Feichtinger war tot.
    Einer der Führer auch lag unter den Erschossenen. Der Windige hatte mehr Kugeln pfeifen gehört als die meisten im Zug; sie machten ihn nicht nervös, er wußte, wie man sich am besten davor schützt. Drei Jahre lang war er an Punkten der Erde gewesen, wo es Kugeln gab wie Regentropfen; jetzt, hier, auf dem gemächlichen Odeonsplatz, hatte es ihn ereilt. Da lag er, zu Füßen der fragwürdigen Feldherrn, blutlos die eben noch sehr roten Lippen, keine Augenweide mehr.
    Der Altmöbelhändler Cajetan Lechner stand in seiner Seitenstraße. Er zitterte, er war sakrisch erschöpft: aber er lebte. Vor ihm, neben ihm drückten Menschen in ihn hinein, preßten. Er stand gepreßt an eine mächtige Haustür, eine breitflügelige. Da wird nichts zu machen sein, die ist bestimmt abgesperrt. Trotzdem, mühselig, griff er nach der Klinke, suchte, drückte gegen die Klinke. Siehe, ein Teil der Tür öffnete sich. Er war in einem weiten, hellen Hausgang. Gleich wieder schloß er die Tür, mechanisch. Es war besser, wenn da nicht zu viele mit hereinschwappten.
    Es war eine gute Tür, die wohl keine Kugel durchließ. Wenn nur nicht das Gewehr so merkwürdig an ihm herumbaumelte. Er möchte das Gewehr los sein, ums Leben gern. Dann wäre er die ganze Sache los und hätte mit den Kugeln nichts zu schaffen. Er tappte die niedrigen Steinstufen hinauf, zum ersten Stock. Dort war ein Schild: Dr. Heinrich Baum, Dr. Siegfried Ginsburger, Rechtsanwälte. Er läutete. Er hoffte nicht, daß man öffnen werde. Aber schau an, die Tür klinkte auf. Ein Fräulein fragte ihn, was er suche. Er antwortetemechanisch, er wolle zum Herrn Rechtsanwalt. Man ließ ihn ein. Ein jüngerer, hagerer Mensch mit nicht unguten, bebrillten Augen fragte ihn, was er wünsche. Cajetan Lechner sagte: »Ja mein, ja mein.« Er nahm das baumelnde Gewehr von der Schulter, lehnte es an ein Aktengestell. Es wollte nicht stehen. Er hielt es auf der einen

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