Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
Seite, auf der andern, behutsam; er dachte, wenn es falle und scheppere, dann sei es ganz aus. Schließlich, leise, sehr vorsichtig, legte er es quer über den Schreibtisch. Dann sagte er: »Herr Doktor, ich hätte eine Bitte. Dürfte ich austreten?« Der Anwalt zeigte ihm selber den Weg.
    Cajetan Lechner, die Tür hinter sich verriegelnd, atmete auf. Das war ein hartes Rennen gewesen, aber er hatte es gemacht, und jetzt war er in Sicherheit. Er hockte da, atmete. Dann, ruhiger geworden, säuberte er sich umständlich. Das war eine schwere Arbeit, und sie gelang nicht restlos; denn er hatte sich übel bekleckert.
    Er blieb lange in der guten Sicherheit hinter der versperrten Tür. Umständlich, mit noch zitternden Gliedern, zog er sich wieder an. Dann nahm er die Binde mit dem indischen Fruchtbarkeitsemblem vom Ärmel, warf sie in die Schüssel, zog die Spülvorrichtung. Die Binde wollte nicht hinunter. Er nahm eine Art Besen und stopfte sie vollends hinein. Dann, befriedigt, setzte er sich noch eine Minute. Endlich, leise aufseufzend, verließ er den Raum.
    Er wollte sich drücken; aber das Schreibfräulein führte ihn von neuem zu dem Anwalt. »Was wünschen Sie?« fragte freundlich der bebrillte Herr. »Eigentlich nichts weiter«, sagte Cajetan Lechner. »Nichts für ungut, Herr Doktor«, sagte er zutunlich, »was bin ich schuldig?« – »Nichts«, sagte der Anwalt. »Nur: was soll ich mit dem Gewehr?« fragte er. Cajetan Lechner zuckte die Schultern. »Wollen Sie es nicht mitnehmen?« fragte der Anwalt. »Nein, nein«, sagte mit entsetzter Abwehr Cajetan Lechner.
    Der Anwalt trat ans Fenster. Von der Straße kam nur noch wenig Lärm. Cajetan Lechner hockte da, schweigend. Es warein großer, kahler Raum; doch er gefiel ihm besser als irgendein andrer Raum, den er kannte, und er wollte möglichst lang bleiben. »Jetzt, scheint es, schießen sie nicht mehr«, sagte am Fenster der Anwalt und wandte sich langsam um. Der alte Lechner stand schwerfällig auf. »Also dann geh ich halt«, sagte er. »Dann sage ich halt: Vergelt’s Gott.« Er schob sich hinaus. Vor der Tür stand er lange und schaute das weiße Schild an mit den schwarzen Buchstaben: Dr. Heinrich Baum, Dr. Siegfried Ginsburger. Das sind Juden, stellte er fest.
    Auf der Straße war es unfreundlich, kalt. Dem Cajetan Lechner war noch immer, als baumle ihm das verflixte Gewehr um die Schulter. Er fühlte sich schwach in den Gliedern, hatte Hunger, das Bedürfnis, sich richtig zu waschen. Aber er hatte eine große Scheu davor, nach Hause zu gehen an den Unteranger. Auch in kein Restaurant traute er sich; ihm war, jeder müßte ihm ansehen, wie übel er sich bekleckert hatte. Er strich durch die Straßen, erschöpft. Gelangte schließlich in die Isarauen. Ging immer weiter. Harlaching, die Menterschwaige. Schlank und hoch spannte sich die Großhesseloher Brücke. Er setzte sich auf eine Bank, schaute auf den Fluß, der graugrün und unabänderlich vorüberrollte. Er hatte ernstlich gehofft, durch den Kutzner das gelbe Haus zu kriegen und vielleicht auch wieder das Schrankerl. Jetzt hatte sich der Kutzner als ein Narr und ein Schisser erwiesen und er selber auch nicht als bayrischer Löwe, und er war keineswegs hochgekommen, sondern auf diese Bank. Die Großhesseloher Brücke zog ihn an. Sie war sehr hoch, ein beliebtes Ziel aller Selbstmörder, von ihr sprang sich’s tief und sicher. Von ihr waren zahllose Dienstmädchen aus ihrem Liebeskummer, zahlreiche verelendete Drei-Quartel-Privatiers aus ihrem Hunger und Gewurstel für immer herausgesprungen. Wenn es Sommer wäre, dachte der Cajetan Lechner, dann könnte man schön kommod ins Wasser gehen: so muß man springen. Denn plötzlich war er fest entschlossen, seinem versauten Leben ein Ende zu machen. Gestern, wird es in derZeitung heißen, sprang der geachtete Altmöbelhändler Cajetan Lechner von der Großhesseloher Brücke in die Isar. Die Schande trieb ihn in den Tod.
    Müd und steif schleppte er sich auf die Brücke. Kinder spielten dort, Lausbuben, so zwölf- oder vierzehnjährige, sie spielten Kutzner und Flaucher. Der alte Cajetan Lechner schwang sich mit krachenden Knochen auf das Brückengeländer. Es war kalt. Ein heftiger Husten überkam ihn, er zog sein blaugewürfeltes Taschentuch, schneuzte sich. Die Buben waren aufmerksam geworden. »Da kommt her«, schrie einer, »da springt einer ab, das wird fein.« Sie sammelten sich um den alten Lechner, erwartungsvoll, ihn durch wohlwollende Zurufe

Weitere Kostenlose Bücher