Erfolg
Kuriere, ersuchte, forderte, befahl. Die Herren blieben verschwunden. Ein Gerücht kam auf von einem Rundtelegramm Flauchers, er lehne den Putsch ab, erkläre die mit Waffengewalt erpreßte Stellungnahme für ungültig. Andere Meldungen kamen, die Reichswehr stehe hinter Flaucher, auswärtige Polizei, auswärtiges Militär sei im Anmarsch. Kutzner wollte die Gerüchte nicht wahrhaben, erklärte hochfahrend, er seibereit, zu kämpfen und zu sterben. Allein das war eine Geste. Seine innere Freude entwich wie Luft aus einem angestochenen Reifen. Die alte Lähmung war wieder da, die peinliche Erinnerung an das Abendessen in der Rumfordstraße, an das Geflenn und Geschrei seiner Mutter.
Im Hauptsaal der Möbelhändler Cajetan Lechner schlief nicht gut. Der Raum war voll Rauch, roch nach Menschen und Bier. Der Morgen kam herauf, die alten Knochen taten weh. Aber dann kriegte er Kaffee und ein Gewehr. Seine Zuversicht hob sich, sein Humor war wieder da. Es wurde acht Uhr, zehn Uhr, man wartete, es gab Bier und Weißwürste. Endlich hieß es, jetzt sei es soweit. Auf geht’s. Antreten zu einem Demonstrationszug, Richtung Zentrum, Marienplatz.
Der Gauleiter Erich Bornhaak hatte den Demonstrationszug vorgeschlagen. Es war Blödsinn, hier untätig herumzuhocken, sich auf die Eroberung des Kapuzinerbräus zu beschränken, sich von Flaucher den Weg vorschreiben zu lassen. Ob der nun umgefallen war oder nicht, ob die Möglichkeit bestand, ihn, war er umgefallen, zu einem zweiten Umfall zu bewegen, das war piepe. Begeisterung war in der Stadt, ein großer Teil der Reichswehr stand zu ihnen, auch gegen die Vorgesetzten. Ein Demonstrationszug, selbst gegen Flaucher, wird bald erweisen, woran man ist.
Es war ein ansehnlicher Zug, bestehend freilich zumeist aus sehr jungen Leuten. Kutzner und Vesemann schritten voran, beide in Zivil, flankiert von Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr. Man marschierte in Zwölferreihen. Cajetan Lechner war in der vierzehnten Reihe. Er nahm sich wunderlich aus mit seinem weißlichen Schnauzbart, dem mächtigen Kropf, den angegrauten Koteletten unter diesen strammen jungen Leuten: aber er stellte seinen Mann. Man hatte Kaffee im Leib, auch Bier und Würste, man marschierte, an der Spitze Vesemann und der Führer, und indem man marschierte, siegte man. Heute eroberte man München, morgen Bayern, in einer Woche das Reich, in einem Monat die Welt. Am Straßenrand standen Leute, winkten, schrien Heil. Eineerkannte Cajetan Lechner ganz genau, das war die Hofrätin Beradt, die Alte aus dem Prozeß Krüger. Sie verteilte Astern und Zigarren, und bei ihr ging es ganz wild auf mit Heil und Hurra.
An der Ludwigsbrücke stand Polizei. Es waren schäbige zwölf Mann. Auf den Pfiff eines Offiziers warfen sich die ersten zwei Reihen der Wahrhaft Deutschen auf die Polizisten, spuckten sie an, entwaffneten sie, überwältigten sie, führten sie ab. Der alte Lechner schaute angeregt; so also war das, wenn man siegte. Geschwellt marschierte er weiter, der innern Stadt zu. Zweibrückenstraße, Theatinerstraße, Marienplatz. An den Mauern die Anschläge der neuen nationalen Regierung sind heruntergerissen. Neben ihren Resten kleben andere Plakate, Proklamationen Flauchers: in seiner Hand ruhe die gesamte vollziehende Macht des bayrischen Staates; wer sich Kutzner und Vesemann anschließe, werde als Hochverräter behandelt. Herunter mit den Sauplakaten. Wahrscheinlich ist es nur ein jüdischer Dreh. Weiter. Perusastraße, zur Residenz, zur Feldherrnhalle.
Was? In der Residenz liegt Landespolizei? Will absperren? Das wäre ja noch schöner. Die kämen uns recht, die Bazi, die elendigen. Man staut sich, schreit, fuchtelt. Der Altmöbelhändler Lechner kann nicht recht erkennen, was eigentlich los ist. Soviel sieht er: um die Feldherrnhalle herum kommt Reichswehr. Gehört sie zu uns oder zu den andern?
Ein Knattern. Die schießen ja. Wer schießt? Einige fallen um. Jesus Marie und Josef, hat es die gerissen? Einer, wie er umfällt, drückt den Bauch hoch wie bei einer gymnastischen Übung. Auch die andern, denen offenbar nichts geschehen ist, schmeißen sich hin. Er selber, der alte Lechner, schmeißt sich hin, einfach in den Dreck, trotzdem er seinen schönen Rock anhat.
Ein Fuchs, auf der Flucht, in höchster Todesgefahr, das hat man mehrmals beobachtet, beißt unterwegs schnell noch eine Gans tot und schleppt sie mit. Der alte Lechner, wie er in der Residenzstraße an der Feldherrnhalle im Dreck liegt und mitnie
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