Erfolg
von Kochel in den Mythos, in die bajuwarische Walhalla. Sein eigener Plan ist verhunzt, sein Leben ist versaut: für ihn ist das beste ein großartiger Abschluß. Aber für das Land Bayern ist es nicht das beste. Denn die Aussichten des Putsches sind wirklich null Komma null. Die norddeutsche Reichswehr ist dagegen, die Industrie ist dagegen, der Putsch kann nicht über die bayrische Grenze hinausgetrieben werden, er muß in kürzester Zeit zusammenbrechen. Wenn er mittut, wenn er nicht noch in dieser Nacht den Putsch im Keim abdrosselt, dann wird sich höchstens das bittere Jahr 1866 wiederholen, und das verdammte Preußen wird den Süden endgültig schlucken.
Das alles erkannte Flaucher, noch während die Pistole des Kutzner rauchte. Sein Zorn war verraucht, noch ehe der Schuß verraucht war. Auch Angst hatte er keine vor der Pistole und vor dem Geschwerl in den Windjacken mit den Hakenkreuzen und den Handgranaten. In einer Minute, ehe man bis sechzig zählen konnte, erkannte dieser alte bayrische Mensch mehr, als er in all den Jahren bisher erkannt hatte. Er hatte sich überhoben, sein Triumph war hohl gewesen, seine göttliche Sendung Essig. In dieser Minute des Schmerzes, der Zerrissenheit, des Zusammenbruchs, des Entschlusses wurde der vierte Sohn des Notariatskonzipienten von Landshut zum großen Mann. Er sah genau, was war: daß es leichter war, an die Grenze zu marschieren und zu sterben, und daß er, drosselte er den Putsch ab, einen stachligen, unrühmlichen, sehr dreckigen Weg wird gehen müssen. Aber er hattesich überhoben, er hatte die Dinge so weit kommen lassen, er hatte die Schuld. An ihm war es, wiedergutzumachen. Er beschloß, sich zu opfern.
Das alles also, Erkenntnisse und Entschluß, erlebte der unglückliche Franz Flaucher in dieser einen Minute. Mit seiner gewissen Bauernschlauheit aber fand er in der gleichen Minute des Entschlusses auch das Mittel, das allein übrigblieb, um, wenn er sich schon opferte, der Stadt und dem Land Blutvergießen zu ersparen. Vor allem muß er seine Bewegungsfreiheit wiederkriegen. Er wird sich zu diesem Behuf dem Narren scheinbar fügen. Wird dann, sowie er erst hier heraus ist, Berchtesgaden und das erzbischöfliche Palais informieren, dort Zustimmung für seine weiteren Schritte einholen. Wird daraufhin zusammen mit dem Landeskommandanten in die Kasernen gehen, funken, depeschieren, abblasen. Er selber wird, tut er das, in aller Zukunft nicht nur für einen Trottel, sondern auch für einen Schuft gelten. Die Männer, denen sein Opfer zugute kommt, die heimlichen Regenten, werden ihn verleugnen, werden ihm wenig Dank wissen. Kein anständiger Hund mehr wird ein Bein vor ihm heben. Er wird erledigt sein. Aber der Putsch auch. Der Putsch wird, wenn er es so macht, schon vor dem Weichbild der Stadt München zusammenbrechen, nicht erst nach vielem Blutvergießen und großer Demütigung für alle Bayern an der Grenze des Landes.
Wie ihn also Kutzner nötigte, folgte er ihm scheinbar einverstanden ins Nebenzimmer, wo inzwischen auch der militärische Führer des Putsches, General Vesemann, eingetroffen war. Der bayrische Landeskommandant und der Chef der Landespolizei wurden in gleicher Weise wie Flaucher in dieses Nebenzimmer genötigt. Kutzner setzte den Herren auseinander, er habe ihnen, unter seiner Oberleitung, führende Ämter zugedacht, dem Flaucher das Gouvernement des Landes Bayern. Diese Ämter aber müßten sie übernehmen. Vier Schüsse, und er fuchtelte mit der Pistole, habe er in seiner Waffe, drei für die Herren, falls sie es ablehnten, seine Mitarbeiterzu werden, den letzten dann für sich selber. Flaucher, in Ausführung seines Entschlusses zu den beiden andern hinüberblinzelnd, sagte bauernschlau und traurig: »Herr Kutzner, ob Sie mich erschießen oder nicht, darauf kommt es jetzt nicht an. Ich sehe nur das Wohl des Vaterlandes, und ich gehe mit Ihnen.« Und dies war wahrer, als Kutzner wußte.
Unter brausendem Beifall kehrten Kutzner und Flaucher zurück in den Hauptsaal, auf das Podium, um eine gemeinsame Erklärung abzugeben. Aufgabe seiner provisorischen Regierung, verkündete Kutzner, sei die Rettung des deutschen Volkes, der Vormarsch gegen das Sündenbabel Berlin. Die Leitung der nationalen Regierung übernehme er, die Leitung der Armee General Vesemann, Dr. Flaucher sei bayrischer Landesverweser. Flaucher erklärte, er trete dieses sein Amt schweren Herzens an, als Statthalter der Monarchie. Die beiden Männer reichten sich die
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