Erfolg
München fahren. Er ging durch die Halle, hinkend, stark mit den Augen zwinkernd, kaum mehr interessant. Verschwand im Aufzug.
Der junge Mensch, wie er, Johanna an ihren Tisch zurückbringend, den Anwalt nicht mehr sah, lächelte mit seinen sehr roten Lippen, erfahren, geringschätzig. Zögerte eine Weile, ob er sich zu Johanna setzen sollte. Betrachtete sie ungeniert mit seinen hellen, frechen Augen. Verneigte sich dann etwas salopp, meinte, groß sei der Ort ja nicht, man werde sich wohl wiedersehen. Entfernte sich, den merkwürdigen Duft von Heu und Leder in der Luft lassend.
Johanna saß dann eine Zeit allein an ihrem Tisch, leise erregt noch vom Tanz. Sie zerbröckelte ihren Kuchen, schaute vor sich hin in die Halle. Sah auf einem Gerank von Alpenrosen einen Stampftanz von Grünbehuteten, einige Gelbgesichtige dazwischen, Tote vermutlich, dahinter den Justizminister Heinrodt, mit vielen höflichen Verneigungen Hinterbliebenen eine Rechnung präsentierend.
13
Tod und Verklärung des Chauffeurs Ratzenberger
Das Restaurant »Zum Gaisgarten«, in dem der Chauffeur Ratzenberger mit etlichen Gleichgesinnten seinen Stammtisch »Da fehlt sich nichts« hatte, lag in einer Seitenstraße an der Peripherie der Innenstadt. An dem Stammtisch des Franz Xaver Ratzenberger hatten etwa ein Dutzend Männer teil, Monteure, Droschkenkutscher, ein Bäcker, auch der Besitzereiner kleinen Druckerei. Man trank reichlich Bier, aß kleingehackte, saure Lunge, Kalbsbraten, Kartoffelsalat, raunzte über die Dinge der Stadt, des Staates, die Großkopfigen, die Straßenbahn, die Fremden, die Revolution, die Geistlichkeit, die Monarchie, über Gott, Lenin und das Wetter. Diese Stammtischrunde war der Kern des Lokals; ohne sie hätte der Wirt sein fast siebzig Jahre altes Restaurant zusperren müssen.
Nun hatte der Druckereibesitzer Gschwendtner in letzter Zeit häufig zwei Brüder mitgebracht, den Boxer Alois Kutzner und dessen Bruder, den Monteur Rupert Kutzner. Alois, schwer, plump, dumpfig, Boxer alter Schule, hockte herum, die Arme aufgestützt, hörte zu, seufzte viel, knurrig, schnaufend, sprach wenig. Um so beredter zeigte sich Rupert Kutzner, der Monteur, zur Zeit stellungslos. Mit heller, manchmal leicht hysterischer Stimme deklamierte er; mühelos von langen, blassen Lippen flossen ihm die Worte; mit eindringlichen Gesten, wie er sie predigenden Landpfarrern abgesehen hatte, unterstützte er seine Rede. Man hörte ihm gerne zu, er hatte Gesichtspunkte, unter denen sich die Dinge des Staates und des Tages bequem bereden ließen. Schuld an allem Bösen war das Zinskapital, war Juda und Rom. Wie die Lungenbazillen die gesunde Lunge, so zerstören die international versippten Finanzjuden das deutsche Volk. Und alle Dinge werden gut und renken sich ein, sowie man nur die Parasiten ausschwefelt. Schwieg der Monteur Kutzner, so gaben die dünnen Lippen mit dem winzigen, dunkeln Schnurrbart und das pomadig gescheitelte Haar über dem fast hinterkopflosen Schädel dem Gesicht eine maskenhafte Leere. Tat aber der Mann den Mund auf, dann zappelte sein Antlitz in sonderbarer, hysterischer Beweglichkeit; die höckerige Nase sprang bedeutend auf und ab, und er entzündete Leben und Tatkraft in der Stammtischrunde.
Die Kunde von dem beredten Rupert Kutzner, der genial einfache Mittel gefunden hatte, das öffentliche Leben zu säubern und auf gesunde Beine zu stellen, verbreitete sich. Eskamen mehr Leute, seinen Reden aufmerksam und zustimmend zu lauschen; der Buchdruckereibesitzer machte eine kleine Zeitung auf, die den Ideen Kutzners gewidmet war. Gedruckt allerdings nahmen sich diese Ideen dürftig aus, immerhin diente die Zeitung, den Lesern den lebendigen Eindruck des auf seinen Worten überzeugt hinrudernden Mannes ins Gedächtnis zu drücken. Jedenfalls kamen immer mehr Leute in das Restaurant »Zum Gaisgarten«. Der Wirt, der Druckereibesitzer, der Boxer und zwei Chauffeure begründeten eine Partei, Die Wahrhaft Deutschen, unter Führung des Rupert Kutzner, der sich jetzt nicht mehr als Monteur, sondern als politischer Schriftsteller bezeichnete.
Franz Xaver Ratzenberger saß nach wie vor an seinem Platz am Stammtisch »Da fehlt sich nichts«. Er war erst nicht ganz einverstanden gewesen mit dem zunehmenden Betrieb in der Wirtschaft. Aber wie die meisten Bewohner der Hochebene voll Freude am Komödiantischen, an Hetze und Gaudium, fand er sich allmählich mit der Veränderung ab, schließlich gefiel sie ihm. Die einfachen, leicht
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