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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sein; denn ohne sie keine Rechtssicherheit. Soweit er, Heinrodt, immer mit Wahrung der Grundsätze, mildern konnte, tat er es.
    Im Fall Krüger konnte er nichts unternehmen. Formal lag Anlaß zum Eingreifen nicht vor. Gestützt auf welchen Titel sollte er in das Bereich seines bayrischen Kollegen eingreifen?Johanna entriß sich endlich ihrer Benommenheit, bäumte hoch gegen die Reden des milden, menschlichen Greises, die jeden Aufschrei wie Sand zudeckten. Ob es denn also kein Mittel gebe, den Unschuldigen aus den Mauern von Odelsberg freizukriegen? Ob denn also jeder der Willkür eines jeden Justizbeamten ausgeliefert sei?
    Hier sei ein gewisses Risiko, das die Gesellschaft bei Eingehung eines Gesellschaftsvertrages in Kauf nehmen müsse, erklärte der Minister, ihre Erregung und ihren ungebührlich heftigen Ton väterlich verstehend. Amtlich, wie gesagt, könne er in ihrem Fall nicht helfen. Er rate, sich an den Ökonomen Dr. Bichler zu wenden, einen einflußreichen Herrn, gescheit, unbekümmert um Prestigedinge, menschlich.
    Man brachte dem Minister einen Haufen Zeitungen. Während er mild weitersprach, schielte er nach den Zeitungen. Die Kellnerin präsentierte die Rechnung. Der Anwalt Geyer verabschiedete sich umständlich, kollegial von dem Minister. Johanna spürte die Hand des Alten drucklos in der ihren. Sie hatte das Bedürfnis, nach dieser Unterredung allein in der frischen Schneeluft herumzugehen. Doch Dr. Geyer schloß sich an. Trotzdem es ihm sichtlich Schwierigkeiten machte, hinkte er neben ihr her, sprach auf sie ein, erklärte der Ungläubigen, Verdrießlichen, er habe einen günstigen Eindruck. Die hübsche, gutangezogene Frau und der hinkende Mann mit dem interessanten, zerarbeiteten Gesicht fielen auf.
    Auch in der Halle ihres Hotels, in der sie dann Tee tranken, beachtete man den Anwalt. Allein er konnte nicht aufkommen, das spürte er, etwa gegen die eleganten, berufsmäßigen Eintänzer, die Herr Pfaundler für den Fünfuhrtee aufgebracht hatte. Denn in jener Zeit hatte sich die Sitte verbreitet, daß bewegungslustigen Frauen an öffentlichen Stätten von Berufs wegen Tänzer zur Verfügung standen. Vier Herren waren es hier in der Halle von Johannas Hotel. Der eine, Wiener, blond, leicht fett, doch sehr beweglich, lächelnd; der zweite, hartes, gekantetes Gesicht, stramme, zusammengerissene Figur, Monokel, Norddeutscher; der dritte, schwarz,nicht groß, skeptisch sentimentale Augen, Rumäne; der vierte, hager, locker von Gliedern, gelassen, Norweger. Diese vier Herren also standen den Tänzerinnen zur Verfügung. Sie führten die heftigen Bewegungen der Negertänze jener Epoche kunstvoll und streng neutral aus, sie waren modisch und gepflegt von Haut, Haar, Nägeln und Anzug; die Dame in ihrem Arm machte gute Figur. Jeder Tanz wurde notiert und den Damen zu Tee und Kuchen auf die Rechnung gesetzt.
    Dr. Geyer mühte sich, in den Augen Johannas den Glanz zurückzugewinnen, den er durch die nicht ertragreiche Unterredung mit dem Justizminister eingebüßt zu haben glaubte. Erst gab er praktische Weisungen, wie man eine allenfallsige Zusammenkunft mit dem Dr. Bichler, dem mächtigen Maulwurf von Niederbayern, zustande bringen könnte. Zu fassen war der höchstens, wenn er auf Reisen war. Das aber war er nicht selten. Denn der Blinde liebte es, große Politik zu machen, er wühlte seine Gänge nach Paris und Rom.
    Und jetzt war der Anwalt Dr. Geyer da, wo er seine besten Fähigkeiten ins Licht stellen konnte. Während die Eintänzer elegant und unbeteiligt ihre Glieder verrenkten, entwickelte er Johanna die Struktur der bayrischen Politik in der Art des von ihm geliebten römischen Geschichtsschreibers Tacitus, klar, mit leidenschaftlicher Logik. Bayern hat der von Hugo Preuß entworfenen Verfassung des Reichs zugestimmt, mit klugen Gründen. Zwar schimpfen, raunzen, rülpsen die Bayern gegen diese Verfassung, aber ihre paar heimlich herrschenden Köpfe wie eben der Ökonomierat Bichler wissen sehr genau, daß gerade sie die einzigen Profitmacher dieser Verfassung sind. Denn ihre Praxis hat die Verfassung so ausgedeutet, daß sie sich als zentrale Gewalt des zentralistischen Reichsbetriebs installiert haben. Sie stellen den Reichswehrminister. Sie legen mit Erfolg die Verfassung so aus, daß, was in Bayern geschieht, das Reich nichts angeht, was im Reich geschieht, der Zustimmung Bayerns bedarf. Sie frönen ihrer Lust zur Rauferei, indem sie ausländische Kommissionen verprügeln, und legen dann

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