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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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traurig: »Jawohl sag ich das noch einmal: Hundsknochen, meineidiger, miserabliger.« Worauf der Chauffeur, alles sehr langsam, wie unter der Zeitlupe, aufstand und den Bierkrug hob, um ihn am Kopf des Widersachers zu zerschmettern. Allein der Widersacher hob gleichfalls seinen Krug und ließihn, auch er ohne Eile, doch mit Wucht und als erster auf den Gegner niederfallen.
    Schnell jetzt und ungewohnt klar, während er zusammenbrach, erlebte der Chauffeur Ratzenberger sein ganzes bisheriges Dasein. Wie er plärrend, blutig und zerdreckt, mit andern kleinen Buben um farbige Steine spielend, sie beschiß. Wie er in der Schule nach ungenügenden Leistungen sich vor Prügeln dadurch bewahrte, daß er dem Herrn Lehrer sein Bier mit weniger Schaum holte als die andern. Wie er in schwarzem Anzug, steif, unbehaglich, rotznäsig, eine Kerze in der Hand, in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wurde, dabei nach den Hirschgranteln schielend, die der Herr Pate an der Uhrkette trug. Wie er als Mechaniker wegen Unzuverlässigkeit, Faulheit, übler Nachrede eine Stelle um die andere verlor. Wie er das Verhältnis mit der Crescentia anfing, ihr ein Kind machte, seinem Söhnchen Ludwig den ersten Schluck Bier einflößte. Wie er ins Feld mußte, sich anfangs in der Etappe herumtrieb, in polnischen Schenken und Bordellen, mehrmals durch listig vertauschte Kommandos Kameraden in den Tod prellend, bis er schließlich doch verschüttet lag in einem zusammengetrommelten Schützengraben. Wie er im Lazarett herumhockte; vielleicht war das seine beste Zeit, mit dem Recht zu faulenzen; das Bier war dünn, aber reichlich, die Weiber willig. Wie er dann mit dem Geld seiner Braut sich die Autodroschke kaufte, Besitzer war, die Frau verprügelte, herumschrie. Wie er in fremden, feinen Wagen durch den nächtlichen Forstenrieder Park sauste, seinen Buben Ludwig neben sich, die Wildsäue der Königlichen Jagd aufstöbernd. Wie er sich an dem Herrenfahrer rächte, ihm den Gummireifen zerschnitt. Wie er aus dem Fährboot in die Isar sprang mit dem Ruf: »Adieu, schöne Gegend.« Wie er sich leidenschaftlich mit seinen Geschwistern um den kupfernen Engel herumraufte. Wie er die Sache mit dem Krüger drehte und dem Vaterland diesen großen Dienst erwies. Wie er im Restaurant »Zum Gaisgarten« hockte, am Stammtisch geachtet, ein fester Mann. Dies alles wiedererlebte der Chauffeur Ratzenbergerjetzt, während die Knochen seines zerschmetterten Schädels ins Gehirn eindrangen. Es war schön, dies nochmals zu leben, es war ein gutes Leben, er hätte es gern noch ein drittes und viertes Mal gelebt. Aber es blieb ihm nichts übrig, als den schweren Oberkörper nach vorne sacken zu lassen, ein wenig zu gurgeln und zu sterben.
    Die andern, als sie den Ratzenberger so zwischen Bier und bereitetem, doch nicht gegessenem Rettich liegen sahen, waren betreten. Der Bäcker freilich beschränkte sich auf die Worte: »Jetzt hat er’s, der Hammel, der damische.« Die allgemeine Erbitterung richtete sich gegen den Huthändler Rothschild, der Anlaß gegeben hatte zu dem Tod des verdienten Chauffeurs.
    Die Beerdigung des Ratzenberger wurde groß aufgemacht. Er war ein Mann, der, weil er ohne Furcht die Wahrheit bekannt hatte, von den Schlawinern und den Roten heftig verfolgt worden war. Aber er hatte unbeirrt seine Sache getan um ihrer selbst willen, war zur Wahrheit gestanden, ein echter deutscher Mann. Die Wahrhaft Deutschen hielten eine große offizielle Totenfeier ab mit einer zündenden Ansprache Rupert Kutzners. Stumm am Sarge, das hübsche, blonde Gesicht zugesperrt, hörte der junge Ludwig Ratzenberger die Reden zu Ehren seines Vaters. Jetzt hatten sie es also fertiggebracht, die Feinde, die hundshäuternen, Juda und Rom. Jetzt hatten sie seinen Vater hingemacht. Aber er, Ludwig, ist auch noch auf der Welt, er wird es ihnen zeigen. Auch ein Grabmal für den Ratzenberger gaben die Wahrhaft Deutschen in Auftrag, wie es sich der Verblichene imposanter nicht hätte wünschen können. Das Relief stellte auf einem rollenden Rad, Anspielung auf seinen Beruf, einen Mann dar, der eine Schwurhand ausgestreckt gegen den Himmel hielt, Anspielung auf seine mannhafte Tat.
    Die Untersuchung gegen den Bäcker wurde schnell und flüchtig durchgeführt, der Fall lag ja klar. Es war ein Streit entstanden um den Juden Rothschild, der Bäcker hatte den Juden verteidigt, der Chauffeur, begreiflicherweise gereiztdurch die Verfolgungen, die er hatte dulden müssen, war heftig

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