Erfolg
zusammenschmilzt. Nichts von Bayern war lebendig geworden. Nichts war da von der Vision, die er auf jener Fahrt nach Berchtoldszell gehabt hatte. Klenk wird die Knöpfe seiner Joppe nicht abtrennen müssen.
Zu Ende September, als Tüverlin seine Arbeit zum viertenmal von neuem begann, erhielt er den folgenschweren Besuch der Frau Ametsrieder.
Die Tante Ametsrieder nämlich hatte das Hauswesen ihrer Nichte wieder an sich gerissen. Von außen betrachtet, schien da alles in Ordnung. Johanna lebte still in der Steinsdorfstraße, sie hatte reichliche, gut entlohnte Beschäftigung, auch aus den Büchern Martin Krügers kam Geld ein. Aber die Tante Ametsrieder hatte die Augen auf, sie sah, daß es mit dieser Ruhe und Sicherheit nicht weit her war. Das Mädel hat vielerlebt, großes Unrecht und bittere Enttäuschung. Wenn man alles in sich hineindruckst, dann schlägt es sich aufs Gemüt. Die Tante Ametsrieder versteht sehr gut, was es heißt, einen so großen und gerechten Zorn wie den ihrer Nichte so lange ungesagt mit sich herumzutragen. Herr Tüverlin, wenn er nur wollte, könnte Johanna von heute auf morgen Gelegenheit schaffen, sich öffentlich ihre Kränkung von der Leber zu reden. Er hat Einfluß, er ist auch nicht auf den Kopf gefallen, trotzdem er Schriftsteller ist. Bloß, er merkt einfach nichts. Darum also ist jetzt sie in Villa Seewinkel und sagt ihm auf gut bayrisch, was los ist. Sehe er denn nicht, daß das mit Johanna nicht so weitergehen könne! Seit Jahren lebe das Mädel mit lauter toten Dingen um sich, Manuskripten, einer Maske und einem trockenen Laib Brot, und müsse ihren guten, bayrischen Zorn in sich hineinwürgen, statt ihn der Welt ins Gesicht zu sagen. Ein so gescheiter Mann und merkt nicht, daß das Mädel kaputtgeht, wenn man ihr nicht hilft.
Der Schriftsteller Tüverlin hörte Frau Ametsrieder aufmerksam an. Das war ja Wort für Wort wahr, was sie sagte. Da hat er Johanna und seine Beziehungen zu ihr so genau analysiert, und am Nächstliegenden ist er stockblind vorbeigelaufen. Er hat sich benommen wie ein Esel und Universitätsprofessor. Was denn hat er Greifbares für sie getan? Eine großartige Analyse hat er gemacht, den berühmten Essay. Wenn einer umkommt vor Schmerz und schreien muß und nicht schreien kann: nützt es ihm dann, wenn man ihm aus dem Konversationslexikon eine Beschreibung seines Schmerzes vorliest? Diese wackere Tante Ametsrieder ist zehnmal gescheiter als er. Johanna ist ein lebendiger Mensch und will schreien, wenn es ihr weh tut.
Nein, die Tante Ametsrieder mußte nicht lange reden, da gingen dem Herrn bereits einige Seifensieder auf. Er lief im Zimmer herum, sein nacktes, krauses Gesicht zerfältelte sich. Ordentlich vergnügt wurde er. Er haute ihr auf die Schulter und sagte voll Anerkennung: »Tante Ametsrieder, Sie sind ein Schwergewicht.« Wäre sie nicht so statiös und imponierendgewesen, er hätte sie herumgeschwenkt. So blieb ihm nichts übrig, als die resolute Bavaria voll Herzlichkeit einzuladen, mit ihm aufs Oktoberfest zu gehen.
Die Tante Ametsrieder befriedigt zurückgefahren, machte Jacques Tüverlin einen langen Spaziergang. Mit lustvollem Schmerz spürte er, wie sehr Johanna ihm durch all diese Monate abgegangen war. Er brauchte dieses bayrische Mädchen, ihren Zorn, ihr umwegiges Empfinden, ihre Dumpfheit, ihre Kraft. Recht hat sie, wenn sie schreien will. Ihn selber packte es, wenn er daran dachte, wie man sie stumm gemacht hatte. Scharf überlegte er, wie er Johanna und sich helfen könnte. Das einfachste wäre, sie schriebe und redete, von ihm unterstützt, öffentlich über Martin Krüger. Aber einen solchen Vorschlag nähme sie nie an, im Gegenteil, er verscheuchte sie nur noch weiter.
In der Nacht kam ihm der rechte Einfall. Oh, es gab noch viele listige Umwege, um den Geist durchzusetzen gegen die Macht der Trägheit und der Beharrung. Am Morgen schickte er ein langes Telegramm an Mr. Potter. Am gleichen Abend hatte er Antwort. In Gegenwart der Anni Lechner riß er die Depesche auf, las, schaute starr, sagte: »La montagne est passée.« Er nahm das Manuskript des Buches Bayern , schlug es munter auf den Tisch, sagte noch einmal: »La montagne est passée.« Die Anni mußte mit ihm zu Abend essen. Er holte eine Flasche eines besonders geschätzten Weins. Zum Grammophon gab er ihr eine gymnastische Schaustellung, war stolz, daß er sich siebenmal hochstemmen konnte. Dann, zu einer krausen, von ihm selbst erfundenen Melodie, sang er in
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