Erfolg
grinste.
Der Rettich war soweit, Tüverlin aß mit Behagen Scheibe um Scheibe. »Ein großer Mann«, sagte er, »den Sie nicht leiden können, ich übrigens auch nicht, er heißt Karl Marx, meinte: die Philosophen haben die Welt erklärt, es kommt darauf an, sie zu ändern. Ich für meine Person glaube, das einzige Mittel, sie zu ändern, ist, sie zu erklären. Erklärt man sie plausibel, so ändert man sie auf stille Art, durch fortwirkende Vernunft. Sie mit Gewalt zu ändern, versuchen nur diejenigen, die sie nicht plausibel erklären können. Diese lauten Versuche halten nicht vor, ich glaube mehr an die leisen. Große Reiche vergehen, ein gutes Buch bleibt. Ich glaube an gutbeschriebenes Papier mehr als an Maschinengewehre.« Klenk hörte aufmerksam zu, seine stille, grinsende Heiterkeit dauerte an. »Was kommt denn in Ihrem Buch vor?« fragte er. »In meinem Buch kommt vor Kasperl im Klassenkampf«,sagte Tüverlin. »Man kann auch sagen: die ewige Wiederkehr des gleichen. Alle hauen Kasperl auf den Kopf, aber am Schluß steht er immer wieder auf. Das kommt daher, daß er nichts begreift als das nächste. Ich habe das schon einmal gemacht, in einer Revue. Damals ist es nichts geworden, weil ich hundert Partner brauchte, mir zu helfen. Diesmal mach ich es allein, in einem Buch.« – »Und damit, daß Sie das schreiben«, fragte Klenk, geschüttelt von innerer Heiterkeit, »damit, glauben Sie, werden Sie bewirken, daß man die Sache Krüger wieder aufrollt?«
Tüverlin war mit seinem Rettich zu Ende. Listig, munter saß er vor dem riesigen Mann. »Ja«, sagte er.
20
Otto Klenks Erinnerungen
Den Klenk, seit dieser Begegnung mit Tüverlin, kratzte es, nun seinerseits den Fall Krüger darzustellen, auf seine Manier. Nicht mit irgendeinem verblasenen, abstrakten Kasperl wird Martin Krüger zu tun haben, sondern mit einem äußerst realen Flaucher und einem äußerst realen Klenk.
Es war längst nicht mehr die Lust, die andern in Atem zu halten, aus der Klenk an seinen Memoiren schrieb. Immer mehr reizte es ihn, den Menschen nachzuspüren, in deren Schicksal er verflochten war, das Leben derer weiterzuverfolgen, mit denen sein Weg sich gekreuzt hatte. Ihn interessierte das Ergehen des Uhrmachers Triebschener, des Heizers Hornauer, des Musikanten Woditschka. Der Dr. Geyer drückte sich jetzt, nachdem die Wahrhaft Deutschen ihn blöderweise bei der Bestattung Erich Bornhaaks verhauen hatten, im Ausland herum. Das war schade. Lebte er noch in Berlin, Klenk wäre imstand gewesen und wäre eigens hingefahren.
Eine Woche nach Tüverlin erschien in Berchtoldszell wieder einmal Dr. Matthäi. Der, seit dem Tod des Pfisterer, warnur mehr der halbe Matthäi. Er war krank, wenn er nicht einen Menschen hatte, an dem er sich reiben konnte. Jetzt hatte er sich den Klenk herausgesucht. Der hat Saft genug, hundsgemein ist er auch, so daß ein ergiebiges Rauferts herauskommen könnte. Aber leider gibt der Klenk nicht an. Der Matthäi versucht immer von neuem, ihn anzuzapfen, aber wenn er noch so grob daherbläst, der Klenk reagiert sanft wie ein Jungfernfurz.
Die Haushälterin Veronika hat den Tisch abgedeckt. Die beiden Männer sitzen noch beisammen beim Bier, in ihren Lodenjoppen, rauchen ihre Tiroler Pfeife. Sooft er herauskommt, verspricht sich der Matthäi eine Hetz. Aber der Klenk zieht nicht, er bleibt so einsilbig, daß man geradezu das Gefühl hat, man sei aufdringlich. Auch heut ist es so fad, als säße man beim Passionsspiel in Oberfernbach.
Der Matthäi sucht irgendein Thema. Diese Russen mumifizieren die Leiche ihres Lenin. Eine infantile Idee, was? Er sagt noch zwei Sätze, ohne Schwung. Er hat keine Hoffnung mehr, daß der Klenk angibt. Aber schau an, der Klenk steht auf, riesig auf und ab schreitet er durch die knarrende Stube. Herrgottsaxen, und jetzt macht er auch den Mund auf. »Mumifizieren«, lacht er. »Mein Lieber, da gibt es bessere Mittel, einen Menschen in der Welt zu halten«, und er haut bedeutend auf den Schreibtisch mit seinen vielen großen Schubladen.
Dem Matthäi gibt es einen Riß. Aha, die Memoiren. Er ist scharf auf diese Erinnerungen, aber er hält sich im Zaum, um, nachdem der andre endlich einmal angegeben hat, nicht wieder alles zu verpatzen. Er putzt an seinem Kneifer, hockt still da, hält sein fettes, zerhacktes, unbeherrschtes Hundsgesicht gesenkt, wartet.
Den Klenk drängt es, sein Geschriebenes endlich irgendwem zu zeigen. Es sind immerhin schon zwei-, dreihundert große Seiten,
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