Erfrorene Rosen
dass an Orten wie diesem ein Menschenleben unter Umständen nicht mehr wert ist als eine Flasche Schnaps.
Olli findet zahllose plausible Gründe und Motive, aus denen jemand den Mann umgebracht haben könnte, und sieht folglich ebenso viele Gründe, keine Spuren zu zerstören. Aber vielleicht weiß Tossavainen doch, was er tut. Er ist ja nicht zum ersten Mal bei einem derartigen Einsatz. Vielleicht sollte man ihm ein bisschen mehr Vertrauen schenken.
Trotzdem geht Olli die Treppe am äußersten Rand der Stufen hinauf. Die Tür öffnet sich knarrend. Tossavainen späht durch den Spalt in den Flur und hält dabei mit der linken Hand die Tür fest. So stellt er sicher, dass er der Erste ist, der sie benutzt, falls etwas Überraschendes passiert. Auch Olli lauscht reglos auf Geräusche aus dem Haus.
Nicht das leiseste Knacken, nichts. Tossavainen zieht die Tür ganz auf, tritt an den rechten Türrahmen und lauscht erneut. Olli wartet an der linken Seite. Da schlägt sein Koffer gegen die Tür. Es ist kein harter Schlag, doch das Poltern klingt geradezu dröhnend. Tossavainen sieht kurz zu ihm hinüber, nicht wütend oder verächtlich, eher konzentriert, so scheint es Olli zumindest. Im Zwielicht kann er Tossavainens Miene nicht genau erkennen. Vielleicht ist es besser so.
Tossavainen zieht seine Taschenlampe aus der Schlaufe am Gürtel. Olli will es ihm gleichtun, stellt aber bestürzt fest, dass er nachlässig war: Die Schlaufe ist leer, die Lampe liegt im Streifenwagen, zwanzig Meter vom Haus entfernt. Die Entfernung könnte ebenso gut zwei Kilometer betragen, so weit weg und unerreichbar erscheint die Lampe, denn es wäre allzu stümperhaft, zum Auto zu laufen und sie zu holen. Olli flucht im Stillen über sich selbst, seine Backenzähne knirschen vernehmlich.
Tossavainen lässt den Lichtkegel über den Fußboden der Diele wandern. Nachdem er eine Weile geschaut hat, probiert er den Lichtschalter an der Wand – nichts tut sich. Tossavainen verschwindet im Innern des Hauses.
Olli schnuppert. Es riecht miefig, schmutzig und süßlich. Vor ihm liegt ein schmaler Flur. Dahinter ist links das Schlafzimmer zu sehen, in dem sich nur ein einfaches Bett befindet, mit einer fleckigen Matratze ohne Laken.
Etwas knirscht unter Ollis Füßen. Ein Wunder ist das nicht, denn sowohl der Fußboden als auch die Wände scheinen völlig verdreckt zu sein. Zwei halbe Schritte vorwärts und wieder knirscht es. Olli versucht, sich vorsichtig vorzutasten, bevor er sein Gewicht verlagert, aber trotzdem knirscht unter seinem Fuß schon wieder etwas. Dieses Etwas fühlt sich hart an. Olli schaut nach unten, sieht aber nur ein kleines rundes Bröckchen auf dem Teppich. Er bückt sich, doch ohne Licht wagt er das Ding nicht anzufassen. Man muss wissen, womit man es zu tun hat, bevor man etwas berührt.
Wie schwerwiegend war Tossavainens Fehler auf der Treppe letztlich, wenn man ihn mit Ollis blindem Tapsen in der Dunkelheit vergleicht? Plötzlich ist Olli froh darüber, dass er den erfahrenen Kollegen nicht über simple Grundregeln belehrt hat, denn seine eigene Leistung ist irgendwo zwischen kläglich und lächerlich einzustufen.
Am Ende des Flurs ist eine kleine Wohnstube zu sehen, links an der Ecke hängt ein Garderobenhaken. Daneben führt eine offene Tür ins Bad. Tossavainen steht bereits dort und schaut hinein. Als Olli zu ihm tritt, bemerkt er Streifen an der Badezimmertür. Genau genommen sehen sie eher wie Spritzer aus. Sie sind dunkel, wirken auf dem weißen Lack fast schwarz. Es sind viele. Als hätte jemand einen dicken Pinsel in Farbe getaucht und sie willkürlich durch die Gegend gespritzt. Und hinter der Ecke werden es noch mehr.
Ollis Blick fällt auf eine Stelle an der Tür, wo sich ein etwas größerer Fleck befindet. Von dort verläuft eine etwa gleich breite Schliere nach unten. Auf dem Fußboden unter der Schliere liegt ein gallertartiger, hellrot und braun gefärbter Klumpen.
»So ist das also«, seufzt Tossavainen, legt den Kopf schräg nach links und nimmt den Anblick in sich auf.
Olli, der hinter ihm steht, sieht nur die Decke des Badezimmers. Sie ist von Spritzern übersät. Tossavainen reckt sich in den Raum, es knackt, und aus dem Bad flutet Licht. Obwohl es nicht besonders grell ist, brauchen die Augen eine Weile, um sich daran zu gewöhnen.
Olli erinnert sich an die Bröckchen, auf die er beim Hereinkommen getreten ist, macht einen Schritt rückwärts und blickt nach unten. Auch hier liegt ein kleines
Weitere Kostenlose Bücher