Erich Kastner
schien, dem Sultan selber auch.
Eines Tages gab er mir nach dem Essen einen verstohlenen Wink, ihm in ein kleines Kabinett zu folgen. Nachdem er die Tür abgeriegelt hatte, holte er aus einem Schränkchen eine Flasche hervor und sagte: „Das ist meine letzte Flasche ungarischen Tokaiers. Die Christen verstehen etwas vom Trinken, und Sie, Münchhausen, erst recht. Nun, so etwas Delikates haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht getrunken!”
Er schenkte uns beiden ein, wir tranken, und er meinte: „Was halten Sie davon?” „Ein gutes Weinchen”, antwortete ich, „trotzdem steht fest, daß ich in Wien bei Kaiser Karl dem Sechsten ein noch viel besseres getrunken habe. Das sollten Majestät einmal versuchen!” „Ihr Wort in Ehren, Baron. Aber einen besseren Tokaier gibt es nicht! Ich bekam ihn seinerzeit von einem ungarischen Grafen geschenkt, und er schwor mir, es sei der beste weit und breit!”
„Was gilt die Wette?” rief ich. „Ich schaffe in einer Stunde eine Flasche aus den kaiserlichen Kellereien in Wien herbei, und dann sollen Sie Augen machen!” „Münchhausen, Sie faseln!” „Ich fasle nicht, Majestät! In sechzig Minuten wird eine Flasche aus dem kaiserlichen Keller in Wien hier vor uns auf dem Tisch stehen, und gegen diesen Wein ist der Ihre der reinste Krätzer!”
Der Sultan drohte mir mit dem Finger. „Sie wollen mich zum besten haben, Münchhausen! Das verbitte ich mir! Ich weiß, daß Sie es mit der Wahrheit sehr genau zu nehmen pflegen. Doch jetzt schwindeln Sie, Baron!” „Machen wir die Probe!” sagte ich. „Wenn ich mein Wort nicht halte, dürfen mir Kaiserliche Hoheit den Kopf abschlagen lassen! Und mein Kopf ist ja schließlich kein Pappenstiel! Was setzen Sie dagegen?”
„Ich nehme Sie beim Wort”, erwiderte der Sultan. „Foppen lasse ich mich auch von meinen Freunden nicht gern. Steht die Flasche Schlag vier nicht auf diesem Tisch, kostet es Sie den Kopf. Wenn aber Sie die Wette gewinnen, dürfen Sie aus meiner Schatzkammer so viel Gold, Silber, Perlen und Edelsteine nehmen, wie der stärkste Mann nur zu schleppen vermag!” „Topp!” rief ich. „Das läßt sich hören!” Dann bat ich um Tinte und Feder und schrieb an die Kaiserin Maria Theresia folgenden Brief: „Ihre Majestät haben als Universalerbin Ihres höchstseligen Herrn Vaters gewiß auch dessen Weinkeller geerbt. Dürfte ich darum bitten, meinem Boten eine Flasche Tokaier mitzugeben? Doch, bitte, nur von dem allerbesten!
Denn es handelt sich um eine Wette, bei der ich nicht den Kopf verlieren möchte. Im voraus herzlichen Dank! Ihr sehr ergebener Münchhausen.”
Das Briefchen gab ich meinem Schnelläufer. Er schnallte seine Bleigewichte ab und machte sich augenblicklich auf die Beine. Es war
fünf Minuten nach drei. Der Sultan und ich tranken dann den Rest seiner Flasche aus und schauten gelegentlich nach der Wanduhr hinüber. Es wurde Viertel vier. Es wurde halb vier. Als es drei Viertel vier schlug, ohne daß sich mein Läufer blicken ließ, wurde mir allmählich schwül zumute. Der Sultan blickte bereits verstohlen auf die Glockenschnur. In kurzer Zeit würde er nach dem Henker läuten. Ich bat um die Erlaubnis, in den Garten gehen zu dürfen. Der Sultan nickte, gab aber ein paar Hofbeamten den Auftrag, mir auf den Fersen zu bleiben. Drei Uhr und fünfzig Minuten wurde ich so nervös, daß ich nach meinem Horcher und dem Jäger schickte. Der Horcher warf sich platt auf die Erde und erklärte kurz darauf, daß der Läufer, weit weg von hier, im tiefsten Schlaf läge und aus Leibeskräften schnarche! Der Schütze rannte auf eine hochgelegene Terrasse, sah durchs Gewehrvisier und rief außer sich: „Wahrhaftig, da liegt er! Unter einer Eiche bei Belgrad! Und die Flasche mit Tokaier liegt neben ihm! Warte, mein Lieber!” Dann zielte er und schoß in die Luft. Was geschah? Die Kugel traf die Eiche, unter welcher der Bursche schnarchte. Blätter, Zweige und Eicheln prasselten ihm aufs Gesicht. Er sprang auf, nahm die Flasche, raste los und langte fünf Minuten vor vier vor des Sultans Kabinett an! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Sultan probierte sofort den Tokaier. Dann meinte er: „Ich hab die Wette verloren, Münchhausen.” Nachdem er die Flasche in seinem Schränkchen fest verschlossen hatte, klingelte er dem Schatzmeister und sagte: „Mein Freund Münchhausen darf so viel aus der Schatzkammer mitnehmen, wie der stärkste Mann forttragen kann!” Der Schatzmeister verneigte sich
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