Erich Kastner
mit der Nase bis zur Erde. Mir aber schüttelte der Sultan die Hand. Dann entließ er uns beide.
Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Ich rief meinen starken Mann und eilte mit ihm in die Schatzkammer. Er schnürte mit langen Stricken ein riesiges Bündel zusammen. Was er nicht unterbrachte, war kaum der Rede wert. Daraufhin rannten wir zum Hafen, mieteten das größte Segelschiff, das zu haben war, wanden den Anker hoch und suchten das Weite. Das war dringend nötig. Denn als der Sultan hörte, was für einen Streich ich ihm gespielt hatte, befahl er dem GroßAdmiral, mit der ganzen Flotte auszulaufen und mich und das Schiff einzufangen!
Wir waren kaum zwei Meilen von der Rüste entfernt, als ich die türkische Kriegsflotte mit vollen Segeln näher kommen sah. Und ich muß gestehen, daß mein Kopf von neuem zu wackeln anfing. Da sagte mein Windmacher: „Reine Bange, Exzellenz!” Er trat auf das Hinterdeck und hielt den Kopf so, daß das rechte Nasenloch auf die türkische Flotte und das linke auf unsere Segel gerichtet war. Und dann blies er so viel Wind und Sturm durch die Nase, daß die Flotte mit zerbrochenen Masten und zerfetzten Segeln in den Hafen zurückgejagt wurde und daß unser Schiff wie auf Flügeln dahinschoß und bereits drei Stunden später in Italien eintraf.
DIE ZWEITE MONDREISE
Erinnert ihr euch noch, wie ich auf den Mond klettern mußte, um meine silberne Axt wiederzuholen? Nun, später geriet ich ein zweites Mal auf den Mond, freilich auf viel angenehmere Art und Weise. Ein entfernter Verwandter von mir, ein sehr wohlhabender Mann, plante eine Expedition. Es müsse, sagte er, ein Land geben, dessen Einwohner solche Riesen seien wie die im Königreich Brobdignac, von dem Gulliver berichtet hat. Er wolle dieses Land finden, und ich solle ihn begleiten. Ich hielt zwar das Ganze für ein Märchen, aber er hatte mich, wie ich wußte, als Erben eingesetzt, und so war ich ihm schon eine kleine Gefälligkeit schuldig.
Wir fuhren also los und kamen bis in die Südsee, ohne daß uns etwas Nennenswertes begegnet wäre, wenn man von ein paar fliegenden Männern und Frauen absieht, die in der Luft Menuett tanzten. Erst am achtzehnten Tag, nachdem wir die Insel Otaheiti passiert hatten, begannen die Abenteuer, und zwar mit einem unheimlichen Orkan, der unser Schiff etwa tausend Meilen hoch in die Luft hob. Dort oben über den Wolken segelten wir dann sechs Wochen und einen Tag bei stetiger Brise dahin, bis wir ein großes Land entdeckten. Es war rund und glänzend und glich einer schimmernden Insel. Wir gingen in einem bequemen Hafen vor Anker und an Land. Tief unter uns sahen wir mit unseren Fernrohren die Erdkugel mit ihren Seen, Flüssen, Bergen und Städten, winzig wie Spielzeug. Die Insel, das merkten wir bald, war der Mond.
Die Bewohner ritten auf dreiköpfigen Geiern durch die Luft, als seien es Pferde. Da gerade Krieg war, und zwar mit der Sonne, bot mir der Mondkönig eine Offiziersstelle an. Ich lehnte aber ab, als ich hörte, daß man statt Wurfspießen große weiße Rettiche nähme und Pilze als Schilde. So ein vegetarischer Krieg, sagte ich, sei nichts für mich. Außer den Mondriesen traf ich auch Bewohner des Hundssterns. Sie reisen als rührige Kaufleute durchs ganze Weltall, sehen wie große Bullenbeißer aus und haben die Augen links und rechts unter der Nase. Da die Augen lidlos sind, decken die Leute beim Schlafengehen die Augen mit der Zunge zu. Die Hundssternbewohner messen im Durchschnitt zwanzig, die Mondmenschen sogar sechsunddreißig Fuß. Sie heißen aber nicht Mondmenschen, sondern „kochende Geschöpfe”, weil
sie ihre Speisen genau wie wir auf dem Herd zubereiten. Das Essen kostet sie wenig Zeit. Sie öffnen einfach ihre linke Seite und schieben die Mahlzeit direkt in den Magen. Das geschieht außerdem nur einmal im Monat, also zwölfmal im Jahr. Auch sonst haben sie ein recht bequemes Leben. Die Tiere, aber auch die „kochenden Geschöpfe” selber wachsen auf Bäumen in sechs Fuß langen nußähnlichen Früchten, die man, wenn sie reif sind, pflückt, einige Zeit lagert und schließlich in heißes Wasser wirft. Nach ein paar Stunden springen dann die fertigen Geschöpfe heraus. Jedes der Wesen ist schon vor der Geburt auf seinen künftigen Beruf vorbereitet, ob nun als Soldat, Professor, Pfarrer oder Bauer, und beginnt sofort nach der Geburt den vorbestimmten Beruf auszuüben. Sie haben an jeder Hand nur einen Finger, tragen den Kopf unter dem rechten Arm und
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