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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wartet«, rief er im Schlitten nach hinten.
    Bevor er bekehrt worden war, hatte er sich an Silvester mit heidnischen Bräuchen beschäftigt. Er hatte Blei gegossen und versucht, in dem erstarrten Klumpen die Zukunft zu lesen. Auch hatte er sich nie dem neuen Jahr zu nähern gewagt, ohne sich ordentlich zu betrinken.
    »Aber jetzt lebe ich im Licht«, rief er. »Es gibt nichts mehr, wovor ich mich fürchten würde.«
    Die Stadt Sundsvall lag in Dunkelheit und Kälte, als sie ankamen. Forsman straffte schon am Stadtrand die Zügel. Was sich Hanna auch immer unter der Stadt vorgestellt hatte, sie konnte es jetzt nicht erkennen. Das meiste lag noch vor ihr, als sie sich aus den Pelzen schälte und aus dem Schlitten stieg.
    Jonathan Forsmans Haus war aus Stein und hatte zwei mächtige Stockwerke. Als er die Zügel anzog, kamen viele Leute aus der Eingangstür und dem Hinterhaus. Antero wurde versorgt, der Schlitten weggezogen, was an Fellen und anderen Waren übrig war, wurde ins Haus getragen. Hanna war verwirrt von allem, was rings um sie her geschah, all diese fremden Menschen, die sie neugierig ansahen, manche offen, andere verstohlen. Sie war daran gewöhnt, unbekannte Menschen zu treffen. Manchmal war es ein Landstreicher gewesen, der sich am Fluss verirrt hatte, manchmal waren es Reisende oder Leute mit Äxten und Sägen aus dem Wald, die ihr Vater mit nach Hause gebracht hatte. Aber nie war es so wie jetzt, nie dieses Gewimmel von Unbekannten.
    Forsman bemerkte ihre Verunsicherung und rief mit lauter Stimme, das Mädchen in seiner Gesellschaft heiße Hanna Renström und wolle Verwandte in Sundsvall besuchen. Aber für diese Nacht, die letzte des Jahres, sei sie unter seinem Dach willkommen.
    Um Mitternacht hatte Forsman seine Familie und alle Angestellten versammelt, auch die Pferdeknechte und die Mägde. In dem großen Zimmer, das als »Saal« bezeichnet wurde, öffnete er ein Fenster weit und bat alle, still zu sein. Die Uhr der Kirche von Sundsvall schlug. Hanna sah, wie Forsman schweigend die Schläge zählte, während er blanke Augen bekam.
    Zu ihrem Entsetzen war er tatsächlich kurz davor, in Tränen auszubrechen. Nie in ihrem früheren Leben hätte sie sich vorstellen können, dass ein erwachsener Mann weinen könnte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie verstand, dass wirklich etwas Wichtiges geschah, als das Glockengeläut, getragen von der Kälte, durch das offene Fenster hereindrang. Als die Glocken schließlich verstummt waren, stimmte Forsman einen Choral an, und alle, die versammelt waren, fielen ein, auch Hanna, wenn auch nur verstohlen.
    In dieser Nacht schlief sie zusammen mit drei Mägden des großen Steinhauses in einem Zimmer. Sie teilte das Bett mit Berta, die in ihrem Alter war. Sie roch nicht ganz reinlich, und Hanna fürchtete, dass sie selbst nicht viel besser roch. Berta schubste sich zurecht, nahm den meisten Platz ein und vertraute Hanna düster an, sie müsse um fünf Uhr aufstehen, obwohl es der Neujahrstag war, der fast als Sonntag galt. Aber sie sollte Feuer machen und die Kachelöfen mit dem Holz heizen, das die Knechte hereintrugen.
    Berta schlief bald ein. Aber Hanna lag wach und dachte, dass etwas fehlte. Es dauerte lange, bis sie darauf kam, was es war.
    Es knackte nicht in den Steinmauern. Die Kälte drang nicht durch die Wände wie daheim im Holzhaus.
    Und erst da, in dem Bett an der Steinwand, überfiel sie das Heimweh. Sie befand sich in einer fremden Welt, sie konnte nicht mehr die Hand ausstrecken und ihre Geschwister berühren oder die schweren Atemzüge von Elin hören.
    Sie war weit fort, mitten in dem, was für sie ganz neu und unbekannt war.
    Vorsichtig legte sie die Hand auf Bertas warmen Körper. Ihr fehlten die Geschwister, die sie früher immer umringt hatten. Sie war allein, und sie wusste nicht, wie sie mit der Leere umgehen sollte, die um sie her wuchs.

11
     
    Am nächsten Tag beauftragte Forsman Jukka, den zuverlässigsten seiner Angestellten, mit Hanna ihre Verwandten zu suchen. Von Elin hatte er eine Adresse bekommen, aber sie war vage gewesen, und Sundsvall war keine Stadt, in der Straßen und Hausnummern immer stimmten.
    Schlimmer war, dass Forsman, der alle in der Stadt zu kennen meinte, nichts von irgendwelchen Walléns gehört hatte. Das hatte er Elin jedoch nicht gesagt. Er hatte angenommen, sie wohnten vielleicht bei einem Sägewerk in der Nähe von Sundsvall.
    Die Kälte hatte nachgelassen. Sie biss Hanna nicht mehr in die Haut wie während der

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