Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
langen Schlittenfahrt.
Forsman begleitete sie auf die Straße hinaus.
»Wenn du keine Familie findest, bringst du sie wieder zurück«, wies er Jukka an, der eingeschüchtert wirkte, unsicher gegenüber dem mächtigen Mann in seinem Pelz. Er war bestimmt schon sechzig Jahre alt, aber trotzdem ängstlich wie ein Kind, das Schläge fürchtet.
Das verstand Hanna nicht.
Sie gingen los, und bald war Jukka wie verwandelt. Jetzt spuckte er aus und lief breitbeinig, schubste Leute, die nicht aus dem Weg gingen, und schien über die schlecht geräumte Straße zu herrschen.
Im bleichen Winterlicht sah Hanna die Stadt. Mit jedem der großen Steinhäuser, an denen sie vorbeigingen, schienen zehn baufällige Hütten aus dem Boden geschossen zu sein. Wie Pilze, dachte sie. Während Steinhäuser essbare Pilze sind und in den Korb gelegt werden, sind die Holzhäuser nur etwas, was man zertritt.
Die Unruhe setzte ihr zu. Würde sie in die Stadt passen? Oder war sie jemand, der hier nie heimisch werden könnte?
Schließlich gab es auch das Meer zu entdecken. Da war ein Hafen, in dem große Schiffe lagen, einige mit Masten, andere mit schwarzen Schornsteinen. Aber das Wasser war nicht unendlich, wie ihr Vater gesagt hatte. Sie sah überall Land, nirgends ahnte sie offenes Wasser jenseits des Eises mit seinen Rinnen und Spalten.
Jukka trieb sie an, wenn sie stehenblieb. Er schien auch nicht mehr Zeit zu haben als sein Hausherr, dieselbe Eile.
Sie folgten dem vereisten Hafenbecken. Mehrmals wäre Hanna fast ausgerutscht und gefallen. Ihre Schuhe, die ein Flickschuster in Fjällnäs angefertigt hatte, waren für den eisglatten Straßenbelag nicht geeignet.
Sie kamen zu einer Ansammlung von Holzhütten, die einander zu umarmen schienen, um die Wärme zu halten.
Jukka blieb stehen und fragte einen Mann, der einen holzbeladenen Schlitten zog. Die Adresse? Wallén? Der stark hustende Mann, der eine große Brandwunde an der einen Wange hatte, wies in eine Richtung und versuchte zu erklären. Jukka drängte ihn ungeduldig, hob zum Dank die Hand an seine Pelzmütze, und sie gingen weiter.
»Hier kann kein Teufel sich zurechtfinden«, murmelte er in seiner singenden Sprache. »Hier findet sich keiner zurecht, aber ich glaube trotzdem, dass es hier ist.«
Er blieb vor einem zweistöckigen Holzhaus stehen, mit schrägem Dach, geflickten und abgedeckten Fenstern und einer Tür, die aus ihrem Rahmen herauszuragen schien. Jukka klopfte fest an die Tür. Sie wurde sofort von einer alten Frau geöffnet, die so dick in Schals eingemummelt war, dass Hanna nur Augen und Nase sehen konnte.
»Wallén«, sagte Jukka. »Wohnt eine Familie dieses Namens hier im Haus?«
Die Alte zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Dann sagte sie etwas, was er nicht verstand.
»Nimm den Schal ab, Alte«, schrie er. »Ich komme mit einer Nachricht von Kaufmann Jonathan Forsman. Er möchte wissen, ob hier jemand wohnt, der Wallén heißt. Und ich kann nicht verstehen, was du piepst, mit dem Mund hinter all deinen Lumpen!«
Die alte Frau zog den Schal weg, und Hanna sah, dass ihr Gesicht ausgemergelt war, als müsste sie häufig hungern.
»Die Familie Wallén«, wiederholte Jukka und zeigte unbeherrscht seine Ungeduld.
»Sie sind abgereist«, sagte die Alte.
»Was heißt das? In den Himmel oder in die Hölle abgereist? Antworte jetzt ordentlich, ehe ich die Geduld verliere.«
Die Alte zog sich bei dieser Drohung zurück, aber Jukka stellte seinen großen Stiefel zwischen Tür und Rahmen.
»Hier im Haus ist nur noch ein alter Mann«, sagte sie. »Sie haben ihn zurückgelassen. Wohin sie gefahren sind, weiß ich nicht.«
Jukka kaute auf seiner Unterlippe herum und versuchte sich zu entscheiden, was er sagen sollte.
»Wir müssen hineingehen und mit dem Alten reden«, sagte er schließlich. »Zeig uns, wo er wohnt!«
Die Alte führte sie eine Treppe hinauf. In den Türen standen bleiche Kinder und starrten die Fremden mit großen Augen an. Es roch säuerlich und herb, als würde das Haus nie gelüftet.
Sie gingen weiter, hinauf zum Speicher, wo die Alte schließlich an eine Tür klopfte und sich dann schnellstens davonmachte. Nachdem Jukka die Tür geöffnet hatte, schob er Hanna hinein.
»Rede jetzt mit der Verwandtschaft«, sagte er. »Entweder wirst du hier wohnen, oder du musst wieder mit nach Hause kommen.«
Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Sprossenstuhl und einem gesprungenen Spiegel an einer Wand. Hanna erblickte ihr Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher