Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
umfangreichen Bibliothek aussortierte. Hanna hatte das Wörterbuch in seinem Papierkorb gefunden und meinte, dass sie alles, was er wegwarf, behalten könne und es nicht auf den Müllhaufen bringen müsse. Sie zeigte es Berta, doch die war nicht an einer fremden Sprache interessiert, die ihr nie von Nutzen sein würde.
Hanna behielt das Buch und lernte Wörter und Wendungen, von denen sie nicht einmal wusste, ob sie sie richtig aussprach.
In diesem Jahr 1904 blieb der Spätwinter mild. Bereits Mitte März versammelten sich die Seeleute, die ihre untätigen Wintermonate an Land verbracht hatten, unten am Hafen und an den Werften, wo die abgetakelten Segelfrachtschiffe lagen. Berta konnte Hanna erzählen, dass es immer weniger Segelschiffe gab. Mehr und mehr Reeder kauften jetzt Dampfschiffe. Aber immer noch gab es Segler, die entlang der Küste segelten oder hinüber nach Finnland, vielleicht auch in die baltischen Staaten. Viele fuhren auch mit Holz und Fisch hinunter nach Stockholm, oder sie nahmen Kurs gen Norden.
Bald würden die letzten Segel verschwinden und nur die Dampfschiffe übrig sein.
14
Eines Vormittags wurde Hanna in Forsmans Büro bestellt. Es kam nicht oft vor, dass er mit ihr allein reden wollte. Jedes Mal empfand sie eine Unruhe davor, dass er aufbrausen würde und etwas an ihrer Arbeit oder ihrem Auftreten auszusetzen hätte.
Als sie den Raum betrat, war Forsman in Gesellschaft eines Mannes in Uniform. Sie blieb an der Tür stehen und knickste. Forsman nickte ihr zu und legte die brennende Zigarre ab.
Der Mann in Uniform war älter als Forsman. Er sah sie mit prüfenden Augen an.
»Das ist Kapitän Svartman«, sagte Forsman. »Er ist Kapitän auf einem Schiff, an dem ich Teilhaber bin. Das Schiff heißt Lovisa und wird sich bald auf die lange Fahrt nach Australien begeben, mit schwedischem Holz, im eigenen Wald gefällt und im eigenen Sägewerk geschnitten.«
Forsman verstummte abrupt, wie er es zu tun pflegte, wenn er den Leuten Zeit lassen wollte, über das Gehörte nachzudenken. Hanna suchte in ihrem Gedächtnis nach diesem Land, fand es aber nicht.
Forsman hatte jedoch gesagt, es gehe um eine weite Reise. Australien war also kein Nachbarland.
»Ich habe über deine Zukunft nachgedacht«, sagte Forsman plötzlich mit so starkem Nachdruck, dass Hanna zusammenzuckte. »Du kannst bestimmt mehr aus dir machen, als in diesem Haus als Magd zu arbeiten. Ich meine, in dir etwas zu sehen, was Gutes für die Zukunft verheißt. Was es ist, weiß ich nicht. Es ist nur so, als würde ich ahnen, dass du deinen eigenen Willen hast. Deshalb habe ich beschlossen, dass du mit Kapitän Svartman nach Australien und wieder zurück fahren wirst. Auf dem Schiff bist du Köchin. Du wirst die einzige Frau an Bord sein, aber alle wissen, dass du unter meinem Schutz stehst.«
Forsman verstummte wieder und betrachtete seine Zigarre, die erloschen war.
Für Hanna gab es etwas, was sie sofort sagen wollte: »Ich muss Elin um Erlaubnis fragen. Ich kann nicht reisen, ohne zu Hause Bescheid zu geben.«
Forsman nickte und beugte sich über den Schreibtisch. Er zog ein Papier zu sich heran und hielt es in die Höhe, damit Hanna es sehen konnte.
»Deine Mutter hat eine Krakelschrift«, sagte er. »Sie buchstabiert jämmerlich. Auch kann sie weder Punkt noch Komma setzen. Aber sie versteht, was ich dir angeboten habe, und sie gibt dir ihren Segen für die Reise.«
Hanna begriff jetzt, dass Forsman weiterhin Verantwortung für sie übernahm, wie er es versprochen hatte. Dass sie eine lange Reise antreten würde, war offenbar schon vor langer Zeit geplant worden. Briefe zwischen Sundsvall und der Fjällwelt brauchten viele Wochen, um hin- und zurückgeschickt zu werden.
»In gut einem Monat wird das Schiff beladen und fertig für die Abreise sein«, sagte Forsman. »Bis dahin findest du dich jeden Morgen auf dem Schiff ein. Da gibt es einen alten Schiffskoch namens Mörth, der dich anlernen wird. Du bekommst Geld für deine Ausstattung, und du wirst während der Reise einen guten Lohn bekommen, mehr Geld, als du je als Magd verdienen könntest. Geh jetzt und zögere nicht. Ich weiß, dass das eine Arbeit ist, die gut zu dir passt.«
Hanna verließ den Raum. Der Schweiß unter ihrer Bluse war kalt.
Erst am nächsten Tag, einem Sonntag, an dem sie ein paar Stunden freihatte, konnte Hanna es Berta erzählen. Die Sonne schien, es tropfte von den Dächern. Sie stiegen auf eine kleine Anhöhe vor der Stadt zu einer
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