Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
erstes war, ihr für die Audienz zu danken, die sie mir gewährte, und ihr zu versichern, schon ihr gnädiges Versprechen allein habe mir meinen Lebensmut zurückgegeben. Hierauf bemerkte sie: »Ich verlange, daß Sie mir über alles, was ich Sie fragen werde, die reine Wahrheit sagen.« Und ich versicherte sie, daß sie nur die volle Wahrheit aus meinem Munde hören werde, denn ich wünsche nichts mehr, als ihr mein Herz rückhaltslos zu öffnen. Sie fragte darauf nochmals, ob ich wirklich nur jene drei Briefe an Apraxin geschrieben hätte, und ich beschwor dies mit der größten Wahrhaftigkeit, wie es sich in der Tat verhielt. Dann fragte sie nach Einzelheiten über das Leben des Großfürsten.
Nachtrag aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff.
Mit dem zweiundzwanzigsten Kapitel bricht Katharina, dieser weibliche Kaiser, die Geschichte ihrer Jugendjahre kurz ab. Wollte sie über den weitaus interessanteren Teil ihres Lebens als Herrscherin nichts mehr sagen, oder konnte sie es nicht, oder was waren es sonst für Gründe, die sie beeinflußten, der Welt ein so wichtiges Dokument wie ihre Memoiren unvollendet zu hinterlassen? – Wir wissen es nicht und müssen uns daher mit andern authentischen Quellen ihrer Zeitgenossen begnügen, die uns den Entwicklungsgang dieser geistvollen Beherrscherin aller Reußen nicht minder interessant schildern. In der russischen Geschichte, wo ein außerordentlicher Mangel an stark ausgeprägten Individualitäten vorherrschte, muß uns besonders eine Frauengestalt neben Katharina auffallen: die Fürstin Daschkoff, geborene Gräfin Woronzow. In dieser Frau kam das russische Weib, aufgeweckt durch die stark revolutionären Bewegungen, die damals das Land durchwühlten, zum ersten Male aus seiner Bedrückung hervor. Kühn stellte sie sich an die Seite der Kaiserin, an deren Thronbesteigung sie einen bedeutenden Anteil hatte. Mit der größten Aufmerksamkeit und einer scharfen Kritik beobachtete sie alle Ereignisse, die vom Tode Elisabeths bis zum Jahre 1805 den russischen Thronund sein Volk erschütterten. Ihre Memoiren sind für die russische Geschichte von größtem Werte und so interessant geschrieben, daß wir nicht unterlassen können, um die Aufzeichnungen der Kaiserin zu vollenden, das Wichtigste über deren Thronbesteigung, den Tod Elisabeths und Peters III. diesen Memoiren zu entnehmen. Lassen wir also die Fürstin sprechen.
Erstes Kapitel.
Die abnehmende Gesundheit der Kaiserin Elisabeth. – Besuch bei Ihren kaiserlichen Hoheiten. – Gemeine Gewohnheiten und Neigungen des Großfürsten. – Seine Lieblingsgesellschaft. – Hofanekdoten. – Der herannahende Tod Elisabeths. – Eigentümliche Unterredung mit Katharina.
Die Kaiserin Elisabeth wurde alt und schwach, und schon fingen die Hofleute an, ihre Aufmerksamkeit dem Thronfolger zuzuwenden, dem dadurch über das Garderegiment Preobraschenski, in welchem Fürst Daschkoff Hauptmann war, eine unumschränktere Gewalt gegeben war, als er früher gehabt hatte. Eines Tages besuchte uns mein Vater und teilte uns den kürzlich vom Hofe erlassenen Befehl mit, daß alle Offiziere der Preobraschenskischen Garden sich mit ihren Frauen nach Oranienbaum begeben sollten. Dies war mir eine sehr unwillkommene Nachricht, denn ich besaß eine große Abneigung gegen den Zwang des Hoflebens und fühlte besonders in diesem Augenblick den stärksten Unwillen, mich von meiner kleinen Tochter zu trennen. Da uns indes mein Vater gütig sein Haus, welches zwischen Petersburg und Oranienbaum lag, anbot, so richteten wir uns daselbst froh und wohlgemut ein und fuhren am nächsten Tag zu Ihren kaiserlichen Hoheiten, umunsere Aufwartung zu machen. Wie ich mich erinnere, wandte sich der Großfürst, nachdem wir vorgestellt waren, mit folgenden Worten an mich: »Obgleich Sie entschlossen zu sein scheinen, nicht im Schlosse zu wohnen, so hoffe ich Sie doch jeden Tag zu sehen, und ich denke, daß Sie mehr Zeit in meiner als in der Großfürstin Gesellschaft zubringen werden.« Ich antwortete nichts, was der Mühe wert gewesen wäre, zu bemerken, fühlte aber wenig Neigung, meine Besuche öfter, als es der Anstand erforderte, zu wiederholen. Ein Opfer indes in dieser Beziehung war unerläßlich, wenn ich mir die vorteilhafte Gelegenheit, die Gesellschaft der Großfürstin zu genießen und mich ihrer Freundschaft zu erfreuen, nicht verscherzen wollte. Die verschiedenen und häufigen Vorwände jedoch, welche ich anwenden mußte, um den Partien ihres Gemahls
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