Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
hatte erfahren, daß all dies Gebaren nur daher rühre, daß die Kaiserin von einem zärtlichen Verhältnis Tschoglokoffs mit einer meiner Ehrendamen, Fräulein Kocheleff, Kunde erhalten und in Erfahrung gebracht hatte, daß diese guter Hoffnung sei. Die Kaiserin hatte Madame Tschoglokoff zu sich gerufen und gesagt, ihr Gemahl betrüge sie, während sie ihn bis zur Narrheit liebe, ja so verblendet gewesen sei, das Fräulein, die Geliebte ihres Gatten, gewissermaßen bei sich wohnen zu lassen. Wenn sie sich von ihrem Manne trennen wollte, würde sie einen Schritt tun, der Ihrer Majestät nicht mißfalle, die überhaupt die Vermählung Madame Tschoglokoffs mit ihrem Gatten nicht gern gesehen hatte. Ja, sie erklärte ihr geradezu, sie wolle nicht, daß ihr Mann bei uns bleibe, sie werde ihn verabschieden und den Dienst ihr allein überlassen. Im ersten Augenblick leugnete Madame Tschoglokoff der Kaiserin gegenüber die Leidenschaft ihres Mannes und erklärte dieselbe für eine Verleumdung. Doch Ihre Majestät hatte während der Zeit, in welcher sie mit der Tschoglokoff sprach, das Fräulein befragen lassen. Die Kocheleff gestand alles ein, was Madame Tschoglokoff gegen ihren Gatten auf äußerste aufbrachte. Sie kehrte nach Hause zurück, wo sie ihrem Manne die bittersten Vorwürfe machte. Er aber fiel vor ihr auf die Knie, bat sie um Verzeihung und verschwendete seinen ganzen Einfluß auf sie, um sie zu besänftigen. Um der Kinder willen, deren sie sehr viele hatten, wurde denn auch das gute Einverständnis zwischen den Ehegatten wieder hergestellt, aber es war seitdem nicht mehr aufrichtig. Getrennt durch die Liebe, verbandensie sich jetzt aus Interesse. Die Gattin verzieh dem Gatten, ging zur Kaiserin und sagte, daß sie ihrem Manne alles vergeben habe und bei ihm aus Liebe zu ihren Kindern bleiben wolle. Auf den Knien bat sie Ihre Majestät, ihn nicht schimpflich vom Hofe zu verabschieden, denn dies werde sie entehren und ihr Unglück noch vergrößern. Kurz, sie benahm sich bei dieser Gelegenheit so gut, mit so viel Festigkeit und Großmut, und ihr Schmerz war außerdem so aufrichtig, daß sie den Zorn der Kaiserin entwaffnete. Sie führte sogar ihren Gemahl vor Ihre kaiserliche Majestät, sagte ihm vor ihr noch einmal offen und ungeschminkt die Wahrheit, warf sich dann mit ihm vor der Kaiserin auf die Knie und bat dieselbe, ihrem Gatten um ihret- und ihrer sechs Kinder willen, deren Vater er ja sei, zu verzeihen. Alle diese Szenen dauerten ungefähr fünf bis sechs Tage, während welcher wir fast stündlich erfuhren, was vorgefallen war, weil man uns inzwischen weniger auflauerte, und weil alle auf die Verabschiedung der Tschoglokoffs hofften. Aber der Ausgang entsprach der Erwartung nicht, die man sich gemacht hatte, denn die Tschoglokoffs blieben, allerdings weniger glorreich als bisher, und nur Fräulein Kocheleff wurde zu ihrem Onkel, dem Oberhofmarschall Chepeleff, geschickt. Man wählte dazu den Tag, wo wir nach Oranienbaum gehen sollten, und während wir nach der einen Seite abreisten, entließ man das Fräulein nach der andern.
In Oranienbaum wohnten wir dieses Jahr in der Stadt zur Rechten und Linken des kleinen Hauptgebäudes. Das Abenteuer in Gostilitza hatte so großen Schrecken verursacht, daß man erst in allen Häusern des Hofes die Decken und Fußböden untersuchen ließ, worauf die, welche es bedurften, ausgebessert wurden.
Mein Leben in Oranienbaum war folgender Art. Umdrei Uhr morgens stand ich auf, kleidete mich selbst von Kopf bis Fuß in Männerkleider, während mich ein in meinen Diensten stehender alter Jäger schon mit den Flinten erwartete. Ein Fischerboot lag am Ufer des Meeres bereit. Wir durchschritten den Garten zu Fuß, die Flinte auf der Schulter, und bestiegen, er, ich, ein Hund, sowie der Fischer, der uns fuhr, das Boot. Dann schoß ich Enten im Schilf, welches das Meer auf beiden Seiten des Kanals von Oranienbaum, der zwei Werst weit in die See hinausläuft, begrenzt. Oft fuhren wir auch über diesen Kanal hinaus, so daß wir bisweilen bei stürmischem Wetter mit unserm Boot aufs offene Meer getrieben wurden. Der Großfürst folgte uns ein bis zwei Stunden später, weil er immer ein Frühstück und Gott weiß was sonst noch nötig hatte. Wenn er uns erreichte, schossen wir gemeinsam, wenn nicht, jagte jeder für sich. Um zehn Uhr, manchmal auch später, kehrte ich zurück und kleidete mich zum Diner um. Nach dem Diner ruhte man ein wenig, und abends machte der Großfürst Musik
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