Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
sprach. Während ich insgeheim diese Betrachtungen anstellte, fuhr sie fort: »Sie werden sehen, wie groß meine Liebe zu meinem Vaterlande ist und wie ernst ich es meine. Ich zweifele nicht, daß Sie eine Person am Hofe besonders gern sehen. Ich lasse Ihnen die Wahl zwischen Sergius Soltikoff und Leon Narischkin; irre ich nicht, so ist es der letztere.« – Ich aber rief rasch: »Nein, nein, gewiß nicht!« – Sie erwiderte: »Nun gut, ist er es nicht, so ist es unzweifelhaft der andere.« – Daraufantwortete ich nicht, und sie fuhr fort: »Sie sollen sehen, daß ich es nicht bin, die Ihnen Schwierigkeiten machen wird.« – Ich indes spielte die Einfältige in einem Grade, daß sie mich schließlich schalt.
Nach Ostern begaben wir uns aufs Land. Um dieselbe Zeit schenkte die Kaiserin dem Großfürsten Liberitza und mehrere andere Güter, die vierzehn bis fünfzehn Werst von Moskau entfernt lagen. Allein ehe sie diese neuen Besitzungen Seiner kaiserlichen Hoheit besuchte, feierte sie in Moskau am 25. April den Jahrestag ihrer Krönung. Man meldete uns, sie habe befohlen, das Zeremoniell solle ganz dasselbe sein, wie es am wirklichen Krönungstage beobachtet worden war, und wir waren sehr neugierig darauf. Am Abend vorher begab sie sich in den Kreml, um dort die Nacht zu verbringen, während wir in dem Holzpalast an der Sloboda blieben und den Befehl erhielten, zur Messe in die Kathedrale zu kommen. Um neun Uhr morgens verließen wir den Holzpalast in Staatskarossen, neben welchen Lakaien zu Fuß hergingen, durchzogen im Schritt ganz Moskau – eine Strecke von sieben Werst – und stiegen dann vor der Kirche aus. Gleich darauf langte die Kaiserin mit ihrem Gefolge an. Sie trug die kleine Krone auf dem Haupte, und der kaiserliche Mantel wurde wie gewöhnlich von den Kammerherren getragen. Sie begab sich zu ihrem Platz in der Kirche – kurz, in allem war nichts Außerordentliches, was nicht bei jedem andern Feste ihrer Regierung ebenso gewesen wäre. In der Kirche herrschte eine abscheuliche feuchte Kälte, wie ich sie niemals so heftig empfunden habe. Ich war in meinem tiefausgeschnittenen Hofkleide ganz blau und starr vor Frost, so daß mir die Kaiserin sagen ließ, ich solle doch einen Zobelpelzkragen umhängen, aber ich hatte keinen solchen bei mir. Sie selbst ließ sich ihre eigenen Pelze herbeiholen und nahm einen davon um. Dabei sah ich noch einen andern indem Kasten liegen und dachte, sie werde mir denselben schicken, aber ich täuschte mich: sie ließ ihn wieder fortnehmen. Dies schien mir ein ziemlich starkes Zeichen von Ungnade. Endlich verschaffte mir Madame Tschoglokoff, welche sah, daß ich vor Kälte zitterte, ich weiß nicht woher, ein seidenes Taschentuch, das ich um meinen Hals band. Am Schluß der Messe und der Predigt verließ die Kaiserin die Kirche, wobei wir es für unsere Pflicht hielten, ihr zu folgen; allein sie ließ uns sagen, wir könnten nach Hause zurückkehren. Nun begriffen wir, daß sie allein auf dem Throne zu dinieren beabsichtigte und hierin das Zeremoniell des Krönungstages beobachtet werden sollte, an welchem sie ebenfalls allein gespeist hatte. Ausgeschlossen von diesem Diner, kehrten wir zurück, wie wir gekommen waren: in großer Feierlichkeit, unsere Bedienten zu Fuß, und legten so im ganzen vierzehn Werst zurück, indem wir, vor Kälte erstarrt und vor Hunger fast sterbend, Moskau von einem Ende zum andern durchzogen. Wenn die Kaiserin während der Messe sehr schlechter Laune zu sein schien, so entließ sie uns jetzt in nicht viel heiterer Stimmung, mit dem Beweise eines so wenig erfreulichen Mangels an Aufmerksamkeit – um nicht mehr zu sagen. Bei jedem andern großen Feste, wo sie auf dem Throne dinierte, hatten wir die Ehre gehabt, mit ihr zu speisen, diesmal indes entließ sie uns öffentlich. Unterwegs teilte ich dem Großfürsten, mit dem ich allein im Wagen saß, meine Meinung darüber mit, worauf er erklärte, er werde sich beschweren. Nach meiner Rückkehr klagte ich Madame Tschoglokoff, starr von Kälte und erschöpft, wie ich war, daß ich mich erkältet habe. Tags darauf war Ball im Holzpalast, aber ich gab mich für krank aus und ging nicht hin. Der Großfürst seinerseits schickte in der Tat über die Sache ich weiß nicht was für eine Botschaft an die Schuwaloffs, worauf sie ihm irgend welche befriedigende Antwortzugehen ließen – dann war nicht weiter die Rede davon.
Etwa um dieselbe Zeit erfuhren wir, daß Zacharias Czernitscheff und der Oberst
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