Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
darauf eine Fürstin Suzoff heiratete.
Am 1. November desselben Jahres nachmittags drei Uhr befand ich mich bei Madame Tschoglokoff. Eben hatten ihrGemahl, Sergius Soltikoff, Leon Narischkin und verschiedene andere Hofkavaliere das Zimmer verlassen, um den Kammerherrn Schuwaloff zu seinem Geburtstage, der auf diesen Tag fiel, zu beglückwünschen. Madame Tschoglokoff, die Fürstin Gagarin und ich unterhielten uns sehr lebhaft, als wir plötzlich in einer nahegelegenen Kapelle Lärm hörten. Ein paar jener Herren kamen mit der Meldung zurück, daß sie die Säle des Schlosses nicht hätten passieren können, weil Feuer darin ausgebrochen sei. Sogleich stürzte ich in größter Hast in mein Zimmer, als ich aber ein Vorzimmer durchschritt, sah ich, daß schon die Balustrade in der Ecke des großen Saales, der zwanzig Schritt von dem Flügel, den wir bewohnten, entfernt lag, brannte. Als ich endlich meine Zimmer erreichte, fand ich sie voller Soldaten und Domestiken, welche die Möbel und alles was sie konnten, fortschleppten. Madame Tschoglokoff war mir gefolgt, aber da der Ausbruch des Feuers in allen Teilen des Hauses das einzige war, was wir zu erwarten hatten, verließen wir das Schloß und bestiegen den vor der Tür wartenden Wagen des Kapellmeisters Araga, welcher zu einem Konzert des Großfürsten gekommen war. Von hier aus betrachteten wir die Feuersbrunst und die Bemühungen, die Möbel aus allen Teilen des Schlosses fortzuschaffen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich eine erstaunliche Menge Ratten und Mäuse, die in langen Reihen, ohne sich sehr zu beeilen, die Treppen hinunterliefen. Wegen Mangel an Maschinen, und weil die wenigen, die man besaß, sich gerade unter dem brennenden Saale befanden, war es unmöglich, den großen Holzbau selbst zu retten. Derselbe nahm ungefähr die Mitte der ihn umgebenden Gebäude ein, mit einem Umfang von ungefähr zwei bis drei Werst. Ich verließ ihn Punkt drei Uhr, aber schon um sechs Uhr war jede Spur davon verschwunden. Die Hitze wurde schließlich so groß, daß weder MadameTschoglokoff noch ich sie länger ertragen konnten, und wir ließen daher den Wagen einige hundert Schritt ins Freie fahren. Endlich kam Tschoglokoff mit dem Großfürsten, um uns zu melden, daß die Kaiserin sich in das Haus Pokrowski begebe und befohlen habe, wir sollten die Wohnung Tschoglokoffs beziehen, die an der rechten Ecke der großen Slobodastraße lag. Dieses Haus enthielt einen Saal in der Mitte und vier Zimmer auf beiden Zeiten, und es ist wohl unmöglich, unbequemer zu wohnen, als wir in diesem Hause wohnten. Der Wind fegte nach allen Himmelsrichtungen hindurch, Fenster und Türen waren halb verfault, in den Fußböden befanden sich Oeffnungen von drei bis vier Zoll Breite. Dazu strotzte es von Ungeziefer, und die Kinder sowie die Diener Tschoglokoffs wohnten darin; allerdings wurden sie, sowie wir ankamen, fortgeschickt. Kurz, man quartierte uns in diesem entsetzlichen Hause ein, dem es an Möbeln fast ganz fehlte.
Am nächsten Morgen erfuhr ich, was sich alles in einer Kalmückennase befinden kann. Die kleine Kalmückin, welche ich bei mir hatte, sagte nämlich, als sie erwachte und indem sie auf ihre Nase zeigte: »Ich habe hier eine Haselnuß!« Ich befühlte die Nase, ohne indes etwas zu finden. Aber den ganzen Morgen wiederholte das Kind unaufhörlich, sie habe in ihrer Nase eine Haselnuß. Das Kind war etwa drei bis vier Jahre alt. Niemand wußte, was sie eigentlich mit der Haselnuß in der Nase wollte, aber plötzlich stieß sie sich beim Spielen gegen den Tisch, fing an zu weinen, zog ihr Taschentuch und schnäuzte sich. Bei dieser Gelegenheit sah ich die Haselnuß aus ihrer Nase fallen, und nun begriff ich, daß eine Haselnuß, die man in jeder europäischen Nase bemerken würde, sich in der Höhlung einer Kalmückennase verbergen könne.
Unsere Garderobe und alles, was wir für den täglichen Gebrauch nötig hatten, lag im Kot vor dem niedergebranntenPalast auf den vom Regen durchweichten Straßen. Erst in der Nacht und am folgenden Tag erhielten wir unsere Sachen zurück, was mir die größte Unruhe verursachte, waren meine Bücher. Ich beendete damals gerade den vierten Band des Bayleschen Lexikons, eine Lektüre, zu der ich zwei Jahre gebraucht hatte, indem ich alle sechs Monate einen Band durcharbeitete. Man kann sich also ungefähr vorstellen, in welcher Einsamkeit sich mein Leben abspielte. Schließlich aber brachte man mir alle meine Bücher, auch meine und der
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