Erlösung
deutlich zu hören. »Ja, ich sehe sein Auto. Das hält direkt am Waldrand, da, wo sich die Straße auf die Schienen zubewegt.«
»Schau auf der anderen Seite aus dem Fenster. Rachel macht ein Signal mit der Lichthupe.« Isabel gab Rachel ein Zeichen, die vorgebeugt hinterm Steuer klemmte und angestrengt in die Dunkelheit starrte.
»Kannst du uns sehen, Joshua?«
»Ja!«, schrie er. »Ich sehe euch oben bei der Brücke. Ihr fahrt genau auf uns zu. Ihr seid jeden Augenbl…«
Isabel hörte ihn aufstöhnen, dann einen Knall, als wenn das Handy auf den Boden gefallen wäre.
»Ich sehe das Stroboskoplicht!«, rief Rachel.
Sie raste über die Brücke und weiter die schmale Straße entlang. Nur noch ein paar hundert Meter.
»Joshua, was macht er jetzt?«, rief Isabel, aber Joshua antwortete nicht. Vielleicht war das Handy im Fallen zugeklappt.
»Heilige Muttergottes, vergib mir meine Sünden«, leierte Rachel neben ihr, als sie in der Kurve an zwei Häusern, einem Hof und einem weiteren Haus, das schon nahe an den Schienen stand, vorbeisausten. Dann erfasste ihr Fernlicht den Wagen.
Er parkte in einer Kurve etwa zweihundert Meter entfernt, nur fünfzig Meter hinter den Schienen. Neben dem Wagen stand der Kerl und wühlte in etwas herum, vermutlich dem Beutel. Er trug eine helle Hose und oben herum etwas Dunkles. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ihn für einen Touristen halten, der sich verfahren hatte.
Im selben Moment, als ihr Fernlicht ihn anstrahlte, hob erden Kopf. Auf die Entfernung konnte man seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber ihm mussten zig Gedanken durch den Kopf schießen. Wie kamen seine Sachen in den Beutel? Vielleicht hatte er den Brief schon gesehen, der obenauf lag. Jedenfalls musste er wissen, dass kein Geld drin war. Und nun dieser Scheinwerfer, der auf ihn zuraste.
»Ich fahr in ihn rein!«, schrie Rachel, während der Mann den Beutel ins Auto warf und selbst auf den Fahrersitz sprang.
Sie waren bis auf wenige Meter heran, da drehten seine Reifen nicht mehr durch, sondern griffen und zogen ihn auf die Fahrbahn.
Es war ein dunkler Mercedes, genau wie der, den Isabel in Ferslev gesehen hatte, als Rachel sich übergeben musste.
Die Straße führte in dichten Wald hinein. Das Geräusch der aufheulenden Motoren fing sich unter den Baumkronen. Der Mercedes war neuer als der Ford. Es würde nicht leicht sein, ihm zu folgen. Und wozu sollte das auch gut sein?
Isabel sah zu Rachel, die hoch konzentriert das Steuer umklammerte. Was zum Teufel stellte sie sich vor?
»Halt doch Abstand, Rachel!«, brüllte sie. »Bald kommen die Streifenwagen hinter uns mit Verstärkung. Die helfen uns. Wir werden ihn schon kriegen. Die sperren irgendwo die Straße ab.«
»Hallo«, tönte es plötzlich aus dem Handy, das sie noch in der Hand hielt. Die Stimme war fremd, eine Männerstimme.
»Ja.« Isabels Augen waren auf die roten Rücklichter vor ihnen geheftet, aber alles andere in ihr wandte sich dieser Stimme zu. Enttäuschungen und Niederlagen vieler Jahre hatten sie gelehrt, schon bei Kleinigkeiten sofort mit dem Schlimmsten zu rechnen. Warum war das nicht Joshua?
»Wer sind Sie?«, fragte sie barsch. »Ein Komplize?«
»Entschuldigen Sie, haben Sie gerade mit dem Mann telefoniert, dem dieses Handy gehört?«
Isabel spürte, wie ihre Stirn eiskalt wurde. »Ja, das war ich.«
Rachel neben ihr zuckte zusammen. Aber sie ging nicht vom Gas und bemühte sich weiter, den Wagen auf der schmalen Straße zu halten. Trotzdem wurde der Abstand zu dem Mercedes immer größer.
»Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Gesprächspartner ist gerade umgekippt und …«
»Was sagen Sie da? Wer sind Sie?«, unterbrach Isabel die Stimme aus dem Handy.
»Ich habe nur hier im Abteil gesessen und gearbeitet, als es passierte. Es tut mir außerordentlich leid, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er tot ist.«
»Isabel!«, rief Rachel. »Was ist da los? Mit wem redest du?«
»Danke«, sagte Isabel zu dem Mann und klappte das Handy zu.
Sie ließ den Blick von Rachel zu den Bäumen draußen wandern, die bei dem Tempo zu einer grauen Masse verschmolzen. Ein plötzlich auftauchendes Reh oder nasses Laub auf der Fahrbahn würde ihnen jetzt das Genick brechen. Das konnte ganz schnell gehen. Wie sollte sie Rachel da mitteilen, was sie gerade gehört hatte? Wer konnte ahnen, wie sie reagieren würde? Ihr Mann war vor wenigen Sekunden gestorben, und sie raste wie eine Wilde durch die
Weitere Kostenlose Bücher