Erlösung
haben?
Er griff sich an den pochenden Hinterkopf. Diese Scheißweiber. Warum hatten sie nicht einfach seine Anweisungen befolgt?
Er schnipste die Kippe in die Hecke, setzte sich auf den Beifahrersitz, legte den Sack auf seinen Schoß und zog die Sachen heraus.
Das Vorhängeschloss und die Kette von der Scheune in Ferslev. Außerdem ein paar Klamotten aus dem Schrank dort. Und obendrein dieser verdammte Brief.
Er las ihn noch einmal. Der erforderte zweifellos eine massive Reaktion. Die, die ihn geschrieben hatten, wussten schlicht und einfach zu viel.
Aber sie hatten sich sicher gefühlt, und das war ihr Fehler gewesen. Hatten geglaubt, nun seien die Rollen vertauscht, nun könnten sie ihn erpressen. Tja, das hatte sie wahrscheinlich das Leben gekostet, aber das musste er erst nachprüfen.
Somit konnten ihm nur noch der Mann, Joshua, und eventuell Isabels Bruder, dieser Polizist, gefährlich werden.
Eventuell. Ein Wort mit verhängnisvollem Klang.
Er blieb noch eine Weile sitzen und überdachte die Situation. Das Scheinwerferlicht der vorüberfahrenden Autos huschte wie in Wellen über den Parkplatz.
Ob die Polizei wohl hinter ihm her war? Als die den Unfallort erreicht hatten, war er bereits mehrere hundert Meter entfernt gewesen. Und selbst als ihm auf dem Weg zur Autobahn die Verstärkung mit heulenden Sirenen entgegengekommen war, hatte sich keiner von denen für einen gemächlich dahinrollenden Mercedes interessiert.
Natürlich würden sie die Spuren des Zusammenstoßes an Isabels Wagen finden. Aber von wem? Wie sollten sie ihn je aufspüren?
Nein, für ihn ging es nun zuallererst um Rachels Mann, diesen Joshua. Von dem musste er das Geld einfordern. Außerdem musste er alles beseitigen, was die Verfolger auf seine Spur bringen konnte. Letztendlich lief es darauf hinaus, dass er sein Unternehmen von Grund auf neu aufbauen musste.
Er seufzte. Das Jahr hatte sich bisher nicht sonderlich gut angelassen.
Insgesamt zehn Fälle hatte er auf diese Weise durchziehen wollen. Und er war gut gewesen. Die Millionen der ersten Jahre waren vernünftig angelegt gewesen und hatten ordentlich Rendite abgeworfen. Aber dann war die Finanzkrise gekommen und hatte seine Aktienbestände ruiniert.
Selbst ein Kidnapper und Mörder unterlag den Mechanismen des freien Markts. Und nun musste er mehr oder weniger wieder bei null anfangen.
»Verdammte Scheiße«, murmelte er, als ihm noch ein weiterer Aspekt einfiel.
Wenn seine Schwester nicht wie üblich ihr Geld bekam, hatte er ein zusätzliches Problem. Aus der Kindheit gab es Altlasten, in denen jemand herumwühlen konnte. Namen, die nicht ans Licht kommen durften.
Das auch noch.
Als er aus der Erziehungsanstalt entlassen wurde, hatte seine Mutter einen neuen Mann. Die Gemeindeältesten hatten ihn unter den Witwern ausgesucht. Ein Schornsteinfegermeister, der zwei Mädchen in Evas Alter mit in die Ehe brachte. Einen stattlichen Mann nannte ihn der neue Pfarrer, ohne Rücksicht auf die Realität.
Anfangs schlug der Stiefvater nicht. Aber als seine Mutter weniger Schlaftabletten nahm und sich ihm im Bett fügte, erhielt sein Temperament größeren Spielraum.
»Möge der Herr sein Angesicht über dir erheben und dir Frieden schenken.« Mit diesen Worten endete er immer, wenn er eine seiner Töchter verdroschen hatte. Und diese Worte bekamen sie häufig zu hören, seine leiblichen Nachkommen. Fand er, dass eine von ihnen das Wort des Herrn übertreten hatte, dann bestrafte er sie. Dabei hatten in der Regel nicht sie etwas falsch gemacht, sondern ihr Stiefbruder. Sei es, dass er ein Amen vergessen hatte, sei es, dass er beim Tischgebet leicht gelächelt hatte. Jedenfalls kaum einmal etwas anderes als solcher Kram. Aber diesen großen, starken Jungen anzurühren, traute sich der Kaminkehrer nicht. So weit wagte er sich dann doch nicht vor.
Anschließend kam regelmäßig der moralische Kater, und das war noch beinahe das Schlimmste. Bei seinem Vater hatte man wenigstens immer gewusst, woran man war, der hatte nie einen Moralischen gekriegt. Der Stiefvater hingegen streichelte den Mädchen die Wangen und entschuldigte sich fürseinen Jähzorn und ihren bösen Bruder. Und dann ging er ins Büro, zog den »Gottesmantel« über, wie sein Vater den Ornat genannt hatte, und betete zu Gott, er möge diese unschuldigen Mädchen behüten. Als wären sie die reinsten Engel!
Eva würdigte er keines Wortes, nie. Ihre blinden Augen, diese weiß glänzenden Augäpfel, fand er eklig,
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