Erlösung
zusammen. In seinem Kopf spulte sich wahrscheinlich gerade eine Verfolgungsjagd ab. Gleich würde er sein imaginäres Steuer herumreißen und auf der Gummimatte bremsen.
»Da auch!«, rief er und deutete auf weitere kräftige Bremsspuren.
Da hielt die Frau vor ihnen an und stieg aus.
»Hier ist es passiert.« Sie zeigte auf einen vollständig entrindeten Baumstamm.
Sie gingen aufmerksam hin und her und fanden zerbrochenes Glas von Scheinwerfern und tiefe Kratzer im Asphalt. Ein gewaltsamer und vollkommen unverständlicher Unfall. Genauere Auskünfte mussten sie bei den Kollegen von der Verkehrspolizei einholen.
»Komm, lass uns fahren«, sagte Carl.
»Soll ich jetzt ans Steuer?«
Carl sah seinen Partner an. Die frischen Erinnerungen an den beherzten Gebrauch des Gaspedals sprachen nicht für seinen dunklen Assistenten. Absolut nicht. »Wir telefonieren jetzt erst mal mit der Verkehrspolizei«, sagte er und setzte sich auf den Fahrersitz.
Er kannte den Mann nicht, der den Fall bearbeitet und die Vermessungen vorgenommen hatte. Aber dumm war der wirklich nicht.
»Zur genaueren Untersuchung haben wir das Wrack zum Kongstedsvej bringen lassen«, sagte der Kollege am Telefon. »Wir haben an einigen Kollisionspunkten etwas Lack von einem anderen Fahrzeug gefunden, haben die Spuren aber noch nicht eingehender analysiert. Dunkle Farbe, vermutlich anthrazit. Aber die Friktionen im Moment der Kollision können die Farbnuance beeinflusst haben.«
»Und die Opfer? Leben die?«
Er bekam zwei Personennummern. Das konnte er selbst rausfinden.
»Sie meinen also, dass ein zweiter Wagen in den Unfall involviert war?«, fragte Carl.
Der Kollege am anderen Ende lachte. »Nein, das meine ich nicht. Das weiß ich. Wir haben das nur noch nicht publik gemacht. Es gibt deutliche Indizien für eine Verfolgungsjagd auf einem mindestens zweieinhalb Kilometer langen Straßenstück vor dem Unfallort. Eine rücksichtslose Raserei. Sollten die beiden Frauen also immer noch leben, wäre das ein Wunder.«
»Und keine Spur von dem Unfallflüchtigen?«
»Nichts.«
»Frag ihn nach den Frauen, Carl«, flüsterte ihm Assad zu, was er dann auch tat. Wer waren sie? Wie gehörten sie zusammen? Solche Sachen.
»Die beiden Frauen«, antwortete der Mann am anderen Ende, »kamen aus der Viborger Gegend, insofern ist es natürlich schon etwas komisch und eigentlich unverständlich, dass sie auf einer abgelegenen Landstraße in Südseeland mit jemandem kollidieren. Wir haben festgestellt, dass sie an diesem Tag zweimal den Großen Belt überquert haben. Aber das ist noch nicht das Merkwürdigste.«
Der Typ hatte sich das Beste für den Schluss aufgehoben. Typisch Verkehrspolizei, dachte Carl. Da konnten diese Kriminaler doch mal sehen, dass sie nicht die Einzigen mit einem aufregenden Job waren.
»Und was ist das Merkwürdigste?«, fragte Carl geduldig.
»Das Merkwürdigste ist, dass sie kurz zuvor die Mautschranke der Belt-Brücke durchbrochen und anschließend alles Erdenkliche unternommen haben, um nicht von der Polizei angehalten zu werden.«
Carl sah wieder auf die Fahrbahn. Das war doch völlig absurd, das Ganze.
»Darf ich Sie bitten, mir den Bericht zu mailen, sodass ich ihn gleich hier im Auto auf den Computer bekomme?«
»Jetzt sofort? Das muss ich erst mit meinen Vorgesetzten klären.«
Damit legte er auf.
Fünf Minuten später lasen Carl und Assad, was die Überprüfung der Polizei ergeben hatte. Zwei Frau mit wahnwitzigem Tempo auf einem abenteuerlichen Parcours – das war wahrhaftig keine Alltagskost. Viermal in Radarfallen geblitzt, zweimal mit der einen Frau am Steuer, zweimal mit der anderen, und das alles an einem Tag. Auf der Belt-Brücke die Mautschranke durchbrochen. Riskantes Fahren auf der E 20. Verfolgung durch mehrere Streifenwagen. Weiterfahrt zum Teil ohne Licht. Und schließlich der fatale Unfall auf der Landstraße mitten im Wald.
»Warum fahren die mit Vollgas von Viborg nach Seeland, zurück nach Fünen und anschließend wieder nach Seeland, kannst du mir das erklären, Assad?«
»Keine Ahnung. Im Moment schaue ich nur auf das hier.«
Er deutete auf die Liste der Radarfallen. Die Frauen waren an den unterschiedlichsten Stellen geblitzt worden, auf der E 45 südlich von Vejle, auf der E 20 zwischen Odense und Nyborg und dann wieder auf der E 20 südlich von Slagelse.
Als Assads Finger in dem Bericht eine Zeile weiterrutschten, sah sich Carl die Auflistung der Radarkontrollen noch einmal an.
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