Erlösung
Anscheinend waren die Frauen auch von einer Radarfalle irgendwo auf dem platten Land geblitzt worden. Er hatte jedenfalls noch nie von dem Ort gehört. Ferslev. Dort waren sie fünfundachtzig gefahren, obwohl nur fünfzig erlaubt waren. Rechnete man alle Verstöße zusammen, dann reichte es mindestens für einen zweifachen Führerscheinentzug.
Carl gab Ferslev ins Navi ein und sah sich die Karte genaueran. Der Ort lag gleich außerhalb von Skibby. Ungefähr auf halber Strecke zwischen Roskilde und Frederikssund.
Er sah, wie Assad seinen Finger auf die Karte legte und dann langsam nordwärts Richtung Nordskoven gleiten ließ. Zu dem Ort, von dem Yrsa meinte, dass dort ein Bootshaus liegen könnte.
Das war doch alles höchst sonderbar.
»Ruf Yrsa an!« Carl legte bereits den ersten Gang ein. »Sag ihr, sie soll Informationen über die beiden Frauen besorgen. Gib ihr die Personennummern und bitte sie, sich zu beeilen. Sie soll zurückrufen und uns sagen, in welchem Krankenhaus die Frauen liegen und wie ihr Zustand ist. Mich kribbelt’s überall, wenn ich mir das alles hier vergegenwärtige.«
Er hörte Assad reden, war in Gedanken aber schon wieder bei der wilden Raserei der zwei Frauen.
Bestimmt nur zwei Drogensüchtige, flüsterte sein kleines prosaisches Ich. Junkies oder Drogenkuriere. Völlig zugedröhnt. Irgendwas in der Art. Er nickte in Gedanken. Natürlich, sonst wären die doch nicht gefahren wie die Henker. Wer sagte überhaupt, dass ein anderes Auto und Fahrerflucht im Spiel waren? Und wenn doch, war’s vielleicht nur irgendein erschrockener armer Teufel gewesen, den diese zugedröhnten Weiber torpediert hatten. Irgend so ein armer Teufel, der es mit der Angst zu tun bekommen hatte und nur wegwollte.
»Okay«, murmelte Assad, als er aufgelegt hatte.
»Hast du sie erwischt?«, fragte Carl. »Hat sie die Aufgabe kapiert?«
Assad wirkte sehr nachdenklich.
»Hallo, Assad! Was hat Yrsa gesagt?«
»Was Yrsa gesagt hat?« Er hob den Kopf. »Keine Ahnung. Ich hatte Rose am Apparat.«
40
Er war nicht zufrieden. Nein, ganz und gar nicht.
Seit dem Unfall waren knapp zwei Tage vergangen, und den Nachrichten zufolge ging es einer der beiden Verunglückten jetzt besser. Der anderen räumte man keine großen Chancen ein. Aber welcher der beiden, darüber wurde nichts gesagt.
Egal, er konnte mit seinem Gegenschlag nicht länger warten.
Am Vortag hatte er Informationen über eine mögliche neue Familie gesammelt und in dem Zusammenhang überlegt, nach Viborg zu fahren, in Isabels Haus einzubrechen und ihren Computer verschwinden zu lassen. Aber was nutzte das, wenn sie ihrem Bruder schon alle Informationen über ihn geschickt hatte?
Und dann war da noch die Frage, wie viel Rachel wusste. Hatte Isabel ihr alles erzählt?
Natürlich hatte sie das.
Nein, die Frauen mussten beseitigt werden, das war ihm nun klar.
Er wandte die Augen zum Himmel. Immer noch fand dieser Ringkampf zwischen ihm und Gott statt. So war es immer gewesen. Seit seiner frühesten Kindheit.
Warum konnte Gott ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
Er schob die Gedanken beiseite, schaltete seinen Computer ein, suchte die Nummer der Notaufnahme im Rigshospital heraus und hatte kurz darauf eine resolute Sekretärin am Telefon, die ihm aber nicht viel sagen konnte.
Immerhin wusste sie, dass beide Frauen auf der Intensivstation lagen.
Einen Moment lang saß er neben dem Telefon und starrte auf seinen Notizblock.
Intensivstation. ITA 4131.
Telefon: 35 454 131.
Drei knappe Informationen. Für manchen bedeuteten sie Tod, für ihn Leben. So einfach ließ sich das zusammenfassen. Da konnten die Augen dort oben im allmächtigen Himmel noch so streng auf ihn herabschauen.
Er ging auf die Website des Rigshospitals und klickte sich durch bis zur Intensivstation.
Die Website war übersichtlich. Klinisch rein wie die Klinik selbst. Er wählte
Praktische Informationen
und dann
Informationen für Angehörige.pdf
, und schon hatte er einen Leitfaden, in dem alles stand, was er wissen musste.
Er überflog die Seiten.
Schichtwechsel 15.30 – 16.00 Uhr
stand dort. In der Zeit musste er zuschlagen. Dann, wenn es besonders hektisch zuging.
In diesem unglaublichen Leitfaden hieß es überdies, dass Besuche von Angehörigen ein großer Trost und eine wertvolle Unterstützung für die Patienten seien. Er lächelte. Also war er von nun an ein Angehöriger. Er würde einen Blumenstrauß kaufen, das war doch wohl tröstend. Und er würde die
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