Erlösung
beschäftigt. Staubsaugen, Brotbacken, all die kleinen Beschäftigungen mit Benjamin. Für dieses Treffen sollte alles perfekt sein.
Sie lächelte. Wie viel hatte dieses Kind doch in ihrem Leben verändert.
»Sie kommen, ich höre sie. Kannst du Benjamin zu mir setzen, Willy?«
Sie spürte die weiche Wange des Kindes an ihrer.
»Jetzt kommen Leute, die uns sagen werden, ob wir dich behalten können, Benjamin«, flüsterte sie dem Kind ins Ohr. »Und ich glaube, das können wir. Willst du gern bei uns bleiben, mein Schatz? Möchtest du gern bei Eva und Willy bleiben?«
Er schmiegte sich an sie. »Eva«, sagte er und lachte.
Da spürte sie, dass er zum Flur deutete, wo Stimmen zu hören waren. »Leute kommen«, sagte er.
Sie drückte ihn, dann zupfte sie ihre Kleidung zurecht. Willy hatte gesagt, sie solle die Augen geschlossen lassen, dann wirkten sie nicht so erschreckend. Sie holte tief Luft, sandteein Gebet zum Himmel und drückte den Jungen noch einmal.
»Wird schon werden«, flüsterte sie.
Die Stimmen waren freundlich, sie kannte sie. Sie sollten zu den Formalitäten Stellung beziehen, und sie waren vor einiger Zeit schon einmal hier gewesen.
Alle beide traten zu ihr und gaben ihr die Hand. Gute, warme Hände. Sie sagten etwas zu Benjamin und nahmen dann etwas entfernt Platz.
»Ja, Eva. Nun haben wir Ihre Verhältnisse gründlich geprüft. Man kann schon sagen, dass Sie nicht gerade in die Kategorie unserer besonders typischen Antragsteller gehören. Deshalb wird es Sie vielleicht freuen zu hören, dass wir beschlossen haben, von Ihrer Sehbehinderung abzusehen. Wir haben schon früher einmal einer Adoption bei einer blinden Person zugestimmt. Und was die Grundeinstellung und Alltagsbewältigung angeht, können wir gar keinen Hinderungsgrund erkennen.«
Eva spürte, wie in ihr so etwas wie eine Quelle zu sprudeln begann. Kein Hinderungsgrund, hatten sie gesagt. Also hatten all ihre Gebete geholfen.
»Es ist beeindruckend, wie viel Sie trotz Ihres eher mäßigen Einkommens haben ansparen können. Insofern haben Sie ja schon bewiesen, dass Sie besser zurechtkommen als so manch anderer. Des Weiteren ist uns aufgefallen, dass Sie in sehr kurzer Zeit wirklich enorm viel abgenommen haben, Eva. Fünfundzwanzig Kilo in gut drei Monaten, sagt Ihr Mann. Das ist wirklich bemerkenswert. Sie sehen gut aus, Eva.«
Nun wurde ihr warm. Sogar Benjamin spürte das.
»Eva ist süß«, sagte der Junge. Sie merkte, dass er den Damen zuwinkte. Willy hatte gesagt, er sähe dann immer ganz besonders lieb aus. Gott segne dieses Kind.
»Sie haben sich hier schön eingerichtet. Das kann für einen Heranwachsenden ein richtiges Zuhause werden, ein guter Ort für ein Kind.«
»Dass Willy sich so einen guten Arbeitsplatz gesucht hat, zählt auch«, sagte die andere. Eine etwas ältere, dunklere Stimme. »Aber glauben Sie nicht, Eva, es könnte für Sie problematisch werden, wenn Ihr Mann nun nicht mehr so viel zu Hause ist?«
»Sie meinen, ob ich allein zurechtkomme mit Benjamin?« Sie lächelte. »Ich bin als junges Mädchen erblindet. Aber ich glaube, dass nicht viele Sehende so gut sehen wie ich.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte die dunklere Stimme.
»Ist es nicht am wichtigsten, zu spüren, wie es unseren Nächsten geht? Ich spüre so etwas. Ich weiß, was Benjamin braucht, noch bevor er selbst es weiß. Ich merke an der Stimme der Menschen, wie es ihnen geht. Sie zum Beispiel sind im Moment sehr froh. Ich glaube, Sie lächeln vom Herzen her. Haben Sie gerade etwas Schönes erlebt?«
Beide lachten sie ein bisschen. »Ja, wenn Sie es schon ansprechen. Ich bin heute Morgen Großmutter geworden.«
Sie gratulierte und beantwortete dann eine Menge praktischer Fragen. Ohne Zweifel würde die Behörde das Verfahren trotz ihrer Behinderung und Willys Alter fortsetzen. Und da sie nun schon so weit gekommen waren, würde es am Ende bestimmt klappen.
»Vorläufig sprechen wir über die Zulassung als Pflegefamilie. Solange wir nicht wissen, was mit Ihrem Bruder passiert ist, kann das auch nicht anders sein. Aber in Anbetracht Ihres Alters müssen wir das als vorbereitende Maßnahme für eine Adoption ansehen.«
»Seit wann haben Sie nichts von Ihrem Bruder gehört?«, schaltete sich die Erste ein. Das war etwa das fünfte Mal im Lauf der beiden Gesprächstermine, dass man ihr diese Frage stellte.
»Seit März, als er Benjamin brachte. Wir haben die dunkle Vermutung, dass Benjamins Mutter gestorben ist. So wie wir meinen
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