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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Gesichter glitten an den Kameras vorbei, aus den Fenstern flogen hellrote Tulpen auf den Leichenwagen. Einwanderer aus aller Herren Länder und genauso viele ethnische Dänen begleiteten ihn, viele Hand in Hand.
    Der Hexenkessel in Kopenhagen hatte für einen Moment aufgehört zu brodeln. Der Bandenkrieg war nicht der Krieg aller.
    Carl nickte vor sich hin. Gut, dass Morten mitging. Aus Allerød waren bestimmt nicht viele dabei. Er selbst ja auch nicht.
    »Da steht Assad«, kam es leise von Hardy.
    Carl sah ihn an. War er die ganze Zeit wach gewesen?
    »Wo?« Er sah auf den Bildschirm und entdeckte im selben Moment Assads runden Kopf in der Menge auf dem Bürgersteig.
    Anders als alle anderen hatte er den Blick nicht auf den Leichenwagen gerichtet, sondern nach hinten auf das Gefolge. Sein Kopf bewegte sich unmerklich von einer Seite zur anderen, wie bei einem Raubtier, das seiner Beute durchs Dickicht folgt. Seine Miene war ernst. Dann war das Bild weg.
    »Was zum Teufel?«, murmelte Carl mehr zu sich.
    »Sah aus wie einer vom Geheimdienst«, grunzte Hardy.
     
    Gegen drei Uhr wachte Carl mit Herzklopfen in seinem Bett auf, die Bettdecke war schwer wie Blei. Kein gutes Gefühl. Wieein plötzlicher Fieberanfall. Als hätte sich eine Horde Viren auf ihm niedergelassen, die das Nervensystem lähmte.
    Er schnappte nach Luft und griff sich an die Brust. Warum empfinde ich jetzt Panik?, dachte er und vermisste eine Hand, nach der er greifen konnte.
    Er öffnete die Augen, es war rabenschwarze Nacht.
    Sein T-Shirt klebte schweißnass an seinem Körper. Das hatte ich schon mal, dachte er und erinnerte sich an den Kollaps.
    Die Schüsse auf ihn, Anker und Hardy draußen auf Amager waren damals der Grund gewesen. Tickte die Zeitbombe etwa immer noch?
    Denk an den Vorfall, durchdring ihn gedanklich, dann bekommst du Abstand, hatte ihm Mona während der Krisenbehandlung geraten.
    Er ballte die Fäuste und erinnerte sich an die Erschütterungen des Fußbodens, als Hardy getroffen wurde und ihn selbst ein Streifschuss an der Stirn verletzt hatte. An das Gefühl, als Hardy gegen ihn geprallt war und ihn im Fallen mitgerissen und mit Blut besudelt hatte. An Ankers heroischen Versuch, die Verbrecher aufzuhalten, obwohl er schwer verletzt war. Und schließlich an den letzten fatalen Schuss, der Ankers Herzblut in die dreckigen Bodenplanken sickern ließ.
    Mehrmals durchdachte er die Situation. Erinnerte sich voller Scham, dass er selbst nichts unternommen hatte, und an Hardys Erstaunen darüber, warum das alles überhaupt passiert war.
    Aber das Herzklopfen ließ trotzdem nicht nach.
    Verdammte Scheiße, fluchte er mehrere Male, machte das Licht an und nahm sich eine Zigarette. Morgen würde er Mona anrufen und ihr sagen, es wäre wieder schlimm. Er würde sie anrufen und so viel Charme in seine Stimme legen, wie er konnte, plus eine Messerspitze Ohnmacht. Vielleicht würde sie ja mehr als eine Konsultation anbieten. Man durfte schließlich hoffen.
    Bei dem Gedanken lächelte er und atmete den Rauch tief ein. Dann schloss er die Augen und spürte sein Herz erneut wie einen hydraulischen Presslufthammer. War er etwa richtig krank?
    Mühsam richtete er sich auf und schleppte sich zur Treppe. Mit einem verdammten Herzanfall wollte er doch lieber nicht allein da oben liegen.
    An der Treppe brach er zusammen, und dort kam er wieder zu sich, als Morten mit der irakischen Flagge um den Kopf ihn rüttelte.
     
    Die Augenbrauen des Notarztes zeigten, dass sich Carl die Fahrt ins Krankenhaus hätte sparen können. Überanstrengung, lautete kurz und lapidar die Diagnose.
    Überanstrengung! Was für eine Beleidigung. Dazu die stereotypen Bemerkungen des Arztes sowie ein paar Pillen, die Carl förmlich umhauten und bis weit in den nächsten Tag ins Land der Träume schickten.
    Es war halb zwei, als er am Sonntag aufwachte. Der Kopf war schwer von grässlichen Bildern, aber das Herz schlug normal.
    »Du sollst Jesper anrufen«, sagte Hardy drüben von seinem Lager, als Carl schließlich nach unten stolperte. »Bist du okay?«
    Carl zuckte die Achseln. »In meinem Oberstübchen rumoren Dinge, die ich nicht kontrollieren kann«, antwortete er.
    Hardy versuchte zu lächeln, und Carl hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Es war heftig, Hardy immer in der Nähe zu haben. Man musste echt überlegen, ehe man den Mund aufmachte.
    »Ich hab über das mit Assad gestern Abend nachgedacht«, sagte Hardy. »Was weißt du eigentlich über ihn, Carl?

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