Erlösung
Mund wieder zuklebte. Die Hose und das Papier unter ihr wurden nass.
Jetzt wandte er sich an ihren Bruder und wiederholte die Prozedur mit dem Klebeband und dem Wasser aus der Tasse.
»Und du, Samuel, du hast auch deine Geheimnisse. Du siehst Mädchen nach, die nicht zur Gemeinde gehören. Ich hab dich dabei beobachtet, auf dem Heimweg von der Schule, zusammen mit deinem großen Bruder. Darfst du das denn, Samuel?«
»Ich mach dich alle, wenn ich kann, Gott helfe mir«, stieß der Junge hervor, bevor auch ihm der Mund wieder mit Packband zugeklebt wurde.
So, viel mehr war jetzt nicht zu tun. Und ja, die Entscheidung war richtig. Das Mädchen musste weg.
Sie war, trotz ihrer Träume, deutlich stärker von Ehrfurcht erfüllt. Ihr hatte die Religion mehr zugesetzt. Aus ihr würde vielleicht eine neue Rachel oder eine neue Eva werden.
Musste er mehr wissen?
Nachdem er sie mit dem Versprechen beruhigt hatte, sie freizulassen, sobald ihr Vater bezahlt hätte, ging er zurück zum Schuppen. Der Öltank war jetzt voll genug. Er schaltete die Pumpe ab, rollte den Schlauch zusammen, steckte den Stecker des Industrie-Tauchsieders in den Generator, schaltete den Heizstab ein und ließ ihn in den Tank gleiten. Seiner Erfahrung nach wirkte die Lauge weitaus schneller, wenn die Wassertemperatur über zwanzig Grad lag, und zurzeit musste man noch mit Nachtfrost rechnen.
Der Kanister mit der Lauge stand auf der Palette in der Ecke. Er schraubte ihn auf und kippte den Inhalt in den Öltank. Fürs nächste Mal musste er Nachschub besorgen, stellte er fest.
War das Mädchen erst einmal tot, würde ihre Leiche in den Tank geworfen. Der Körper würde sich binnen weniger Wochen auflösen.
Danach musste er nur mit dem Schlauch zwanzig Meter weit in den Fjord hinauswaten und den Tankinhalt ablassen.
Mit etwas Wind war der Dreck innerhalb eines Tages weit genug hinausgetrieben.
Zweimaliges Ausspülen des Öltanks, und alle Spuren waren beseitigt.
Alles nur eine Frage der Chemie.
24
Sie waren ein ungleiches Paar, wie sie da in Carls Büro standen, Yrsa mit den blutroten Lippen und Assad mit den kriegerischen Bartstoppeln.
Mit jeder Faser strahlte Assad Missbilligung aus. Carl konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so empört gesehen zu haben.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Yrsa sagt, wir kriegen diesen Tryggve nicht nach Kopenhagen? Und was ist mit dem Bericht?«
Carl kniff die Augen zusammen. Das Bild von Mona, die Schlafzimmertür öffnend, erschien regelmäßig auf seiner Netzhaut und brachte ihn jedes Mal aus der Fassung. Eigentlich hatte er den ganzen Morgen an nichts anderes denken können. Und solange er nicht einigermaßen wieder sortiert war, mussten Tryggve und diese verrückte Welt da draußen eben auf Stand-by warten.
»Äh, was?« Carl reckte sich in seinem Bürostuhl. Es war Urzeiten her, dass sich sein Körper dermaßen empfindlich angefühlt hatte. »Tryggve? Nein, der ist noch in Blekinge. Ich hab ihn aufgefordert, nach Kopenhagen zu kommen, hab ihm sogar angeboten, ihn zu fahren. Aber er sagte, er sähe sich dazu nicht imstande. Ich konnte ihn doch nicht zwingen! Du darfst eines nicht vergessen, Assad, der ist in Schweden. Wenn er nicht freiwillig kommt, dann kriegen wir ihn ohne die Hilfe der schwedischen Polizei nicht hierher. Und dafür ist es doch noch etwas zu früh, oder?«
Er hatte damit gerechnet, dass Assad zustimmend nicken würde, aber das tat er nicht. »Ich schreib einen Bericht anMarcus, ja? Dann werden wir ja sehen. Und davon abgesehen weiß ich nicht, was wir hier und jetzt weiter tun sollen. Es handelt sich schließlich um einen dreizehn Jahre alten Fall, bei dem nie Nachforschungen angestellt wurden. Wir müssen Marcus entscheiden lassen, in wessen Zuständigkeitsbereich das überhaupt fällt.«
Assad runzelte die Brauen, und Yrsa machte es ihm nach. Meinte Carl im Ernst, Dezernat A solle am Ende die Früchte ihrer Arbeit ernten?
Assad warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir können jetzt gleich nach oben gehen, dann haben wir’s hinter uns. Jacobsen kommt montags immer früh.«
»Okay, Assad.« Carl richtete sich auf. »Aber erst mal müssen wir noch was besprechen.«
Er sah Yrsa an, die sich erwartungsvoll in den Hüften wiegte. Was würde da ans Licht kommen?
»Assad und ich allein, Yrsa.« Er deutete auf seine Augen. »Unter vier Augen, du weißt schon.«
»Ach so.« Sie zwinkerte ihm zu. »Men’s talk«, raunte sie und ließ beim Verlassen des Raums eine Wolke
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