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Erlösung

Erlösung

Titel: Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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der Kinder allmählich etwas abgewetzt waren. Na, die waren ja auch reichlich gebraucht worden! Aber wenn Samuel so intensiv daran arbeitete, musste Verstärkung her.
    Die Kinder blickten verwirrt zu ihm auf, als er das Licht einschaltete und zu ihnen hereinkroch. Verzweifelt rüttelte der Junge in der Ecke noch einmal an seinen Fesseln, aber das nützte nichts. Er trat und protestierte wild hinter dem Klebeband, als ihm die Kette um den Leib gelegt und am Riemen an der Wand befestigt wurde. Aber für wirklichen Widerstand hatte er keine Kraft mehr. Seit Tagen Hunger und dazu die unbequeme Stellung, das hatte ihn ausgezehrt. Richtig jämmerlich sah er aus, wie er dort saß, die Beine schräg unter sich angezogen.
    Genau wie die anderen Opfer vor ihm.
    Magdalena hatte sofort aufgehört zu singen. Seine Anwesenheit raubte ihr alle Energie. Vielleicht hatte sie geglaubt, die Anstrengungen ihres Bruders würden etwas nützen. Jetzt wusste sie, wie trügerisch ihre Hoffnung gewesen war.
    Erst füllte er die Tasse mit Wasser, dann riss er ihr mit einem Ruck das Klebeband vom Mund.
    Sie japste, reckte dann aber doch den Hals vor und öffnete den Mund. Die Überlebensreflexe funktionierten noch.
    »Magdalena, du darfst nicht so hastig trinken«, flüsterte er.
    Sie hob das Gesicht und sah ihm einen Moment in die Augen. Verwirrt und voller Angst.
    »Wann kommen wir nach Hause?«, fragte sie und ihre Lippen zitterten. Sie begehrte nicht auf, wurde nicht ausfallend. Stellte nur diese einfache Frage und reckte sich gleich darauf nach mehr Wasser.
    »Ein oder zwei Tage wird es noch dauern«, sagte er.
    In ihren Augen standen Tränen. »Ich will nach Hause zu meinen Eltern«, weinte sie.
    Er lächelte ihr zu und hob die Tasse an ihre Lippen.
    Vielleicht spürte sie, was in ihm vorging. Jedenfalls hörte sie auf zu trinken, sah ihn aus großen Augen an und wandte den Kopf dann ihrem Bruder zu.
    »Er bringt uns um, Samuel«, sagte sie und ihre Stimme bebte. »Ich weiß es.«
    Er drehte den Kopf und sah den Jungen direkt an.
    »Deine Schwester ist völlig durcheinander, Samuel«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Natürlich bringe ich euch nicht um. Alles wird gut. Eure Eltern sind wohlhabend und ich bin kein Unmensch.«
    Wieder wandte er sich Magdalena zu, die den Kopf hängen ließ, als stünde das Ende ihres Lebens unmittelbar bevor. »Ich weiß so viel von dir, Magdalena.« Behutsam strich er ihr mit dem Handrücken übers Haar. »Ich weiß, dass du dir gern die Haare abschneiden lassen würdest. Dass du gern mehr selbst entscheiden möchtest. Ich habe hier etwas, das ich dir zeigen will«, sagte er, steckte die Hand in die Innentasche seiner Jacke und zog ein buntes Blatt Papier heraus.
    »Erkennst du es?«, fragte er.
    Er spürte, wie sie zusammenzuckte. Aber sie verbarg ihren Schrecken gut.
    »Nein.« Mehr sagte sie nicht.
    »O doch, Magdalena. Ich hab dich beobachtet, wenn du im Garten dort in der Ecke gesessen und in das Loch geschaut hast. Das hast du ziemlich oft gemacht.«
    Sie wandte den Kopf ab. Schämte sich. Er hatte eine Grenze verletzt.
    Jetzt hielt er ihr das Papier vors Gesicht, eine herausgerissene Seite aus einer Illustrierten.
    »Fünf berühmte Frauen mit kurzen Haaren«, sagte er und las vor: »Sharon Stone, Natalie Portman, Halle Berry, Winona Ryder und Keira Knightley. Na ja, ich kenne sie nicht, aber das sind doch bestimmt Filmstars, oder?«
    Er nahm Magdalenas Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »Warum ist es verboten, das anzuschauen? Weil sie alle kurze Haare haben? Weil das in eurer Kirche nicht erlaubt ist? Ist das der Grund?« Er nickte. »Ja, ich sehe schon, das ist es. Du hättest auch gern die Haare so kurz, nicht wahr? Du schüttelst den Kopf, aber ich glaube trotzdem, dass du das willst. Aber hör zu, Magdalena. Habe ich deinen Eltern von deinem kleinen Geheimnis erzählt? Nein, habe ich nicht. Also kann ich doch gar nicht so schlimm sein, oder?«
    Er zog sich etwas zurück, nahm das Messer aus der Tasche und klappte es auf.
    Immer sauber und scharf.
    »Mit diesem Messer hier kann ich deine Haare ruckzuck abschneiden.«
    Er ergriff eine Strähne und schnitt sie ab.
    Das Mädchen zuckte erneut zusammen, und ihr Bruder zerrte und rüttelte an seiner Kette.
    »Da!«, sagte er.
    Sie wirkte, als hätte er ihr ins Fleisch geschnitten. Kurze Haare waren wirklich tabu für ein Mädchen, das mit dem religiösen Dogma, Haare seien heilig, aufgewachsen war, das merkte man.
    Sie weinte, als er ihr den

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