Erlösung
gezogen, hat Halt in der Beziehung zu der jungen Frau gefunden und begonnen, als Hilfskraft in einer Holzhandlung in Belganet zu arbeiten. Seine Familie hat nie wieder mit ihm gesprochen, obwohl sein Arbeitsplatz ganz in der Nähe seines Elternhauses liegt. Als ich jetzt am Wochenende dort oben war, hat tatsächlich der allererste Kontakt zwischen ihnen stattgefunden, das allererste Gespräch seit dem Bruch. Und da hat der Vater Tryggve enorm unter Druck gesetzt, er solle ja den Mund halten. Und Tryggve hat eingewilligt, soweit ich ihn verstanden habe. Bis zu dem Augenblick, als ich ihm den Flaschenbrief präsentiert habe. Der hat ihn umgehauen – beziehungsweise gezwungen, sich der Realität zu stellen.«
»Hat die Familie nach der Entführung jemals wieder etwas von dem Mörder gehört?«, wollte einer wissen.
Carl schüttelte den Kopf. »Nein, und ich glaube auch nicht, dass das noch geschehen wird.«
»Warum nicht?«
»Seither sind dreizehn Jahre vergangen. Der hat doch wohl anderes zu tun.«
Wieder wurde es erstaunlich still im Raum. Einzig Lis’ regelmäßiges Plappern war aus dem Vorzimmer zu hören. Einer musste ja die Telefongespräche annehmen.
»Gibt es irgendwelche Hinweise auf vergleichbare Fälle, Carl? Habt ihr das untersucht?«
Carl sah Bente Hansen dankbar an. Sie war die Einzige im Raum, mit der er im Laufe der Jahre keine ernstlichen Meinungsverschiedenheiten gehabt hatte, und wohl die Einzige in der Gruppe, die sich nie hatte durchsetzen müssen. Sie war einfach von Natur aus energisch und tüchtig. »Ich habe Assad und Yrsa, Roses Vertretung, darangesetzt, Vereine und Selbsthilfegruppen zu kontaktieren, die Sektenaussteigern Unterstützung anbieten. Vielleicht gelingt es uns so, etwas über verstoßene oder weggelaufene Kinder zu erfahren. Das ist eine magere Spur, der wir da nachgehen, aber wenn wir uns direkt an die Gemeinden wenden, erfahren wir gar nichts.«
Einige aus der Runde sahen Assad an, der so, wie er dort stand, aussah wie aus dem Bett gefallen. Voll bekleidet, wohlgemerkt.
»Solltet ihr das nicht ein paar von uns Professionellen überlassen, die davon Ahnung haben?«, fragte einer.
Carl hob die Hand. »Wer hat das gesagt?«
Einer der Männer trat vor. Pasgård hieß er, ein Typ mit Ellenbogen. Irre tüchtig in seinem Job, aber einer von der Sorte, die sofort schubsen und drängeln, um interviewt zu werden, wenn irgendwo eine Fernsehkamera auftaucht. Wahrscheinlich sah er sich selbst in einigen Jahren auf dem Chefsessel.
Carl kniff die Augen zusammen. »Okay, dann sei du, der du ja offenbar so scheißtüchtig bist, doch so nett und lass uns teilhaben an deinen einzigartigen Kenntnissen der dänischen Sektenlandschaft. Würdest du so freundlich sein und uns ein paar Namen nennen? Sollen wir sagen – fünf?«
Der Typ protestierte, aber Jacobsens schräges Lächeln ließ ihm keine Chance.
»Hm.« Er blickte in die Runde. »Zeugen Jehovas. Die Baptisten sind wohl keine Sekte, aber die Unification Church … Scientology … die Satanisten und … Faderhuset.« Siegesgewiss sah er Carl an und nickte den anderen zu.
Carl gab sich Mühe, beeindruckt auszusehen. »Okay, Pasgård, natürlich kann man die Baptisten nicht als Sekte bezeichnen, ebenso wenig übrigens wie die Satanisten, es sei denn, du denkst speziell an die Church of Satan. Dafür musst du also Ersatz bringen. Na, wie sieht’s aus?«
Der Typ zog die Mundwinkel nach unten, während ihn alle ansahen. Sämtliche großen Weltreligionen sausten ihm durch den Kopf und wurden verworfen. Man konnte förmlich sehen, wie er lautlos die Worte bildete. Dann kam es endlich: Kinder Gottes, woraufhin vereinzelt applaudiert wurde.
Carl machte mit und klatschte kurz. »Prima, Pasgård. Dann lass uns die Streitaxt hier begraben. Es gibt in Dänemark extrem viele Sekten, sektenähnliche Freikirchen, Guru- und Erweckungsbewegungen, und man kann sie nicht allesamt im Kopf haben. Natürlich nicht.« Er wandte sich Assad zu. »Kann man doch nicht, oder, Assad?«
Der kleine Mann schüttelte den Kopf. »Nein, da muss man zuerst seine Hausaufgaben machen.«
»Und? Hast du das getan?«
»Bin noch nicht fertig, aber ein paar mehr könnte ich schon nennen. Soll ich?« Assad sah zum Chef hinüber und der nickte.
»Okay, da könnte man zum Beispiel die Quäker nennen, die Pfingstbewegung, die Mormonen, die Neuapostolische Kirche, die Evangelikalen, die ganzen neuheidnischen, neoschamanistischen und theosophischen Bewegungen,
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