Erlösung
konnte. Ich bahnte mir einen Weg durch die tanzende und feiernde Menschenmenge und ich genoss die enttäuschten Blicke der Männer, die sich anscheinend mehr von diesem Abend erhofft hatten. Doch diesen Engel würde ich niemals wieder frei geben.
„Wo willst du mit mir hin, Nicholas?“ Vor nicht allzu langer Zeit wäre sie bei meinem Tempo außer Atem gewesen, doch diese Zeiten waren endlich vorbei. Sie hielt mit mir Schritt.
„Vertrau mir“, rief ich aus. In einer schnellen Drehung zog ich Lesley an mich. Sie schlang wohl wissend ihre Arme um meinen Hals und gemeinsam tanzten wir regelrecht über die Piazza San Marco.
„Von dort oben hat man einen hervorragenden Ausblick.“ Ich deutete mit meinem Kopf zu dem fast hundert Meter hohen Dom vor uns. Liz folgte meinem Blick.
„Willst du da etwa rauf? Um diese Uhrzeit ist er bestimmt gar nicht geöffnet.“
Ich nickte zufrieden. „Ich weiß und genau so soll es sein.“ Lesleys fragender Gesichtsausdruck sprach Bände und bestärkte mich nur noch mehr, meinen spontanen Plan durchzuziehen.
„Nicholas, die Türen sind zu. Auf dem Schild da steht, dass man nur von April bis Oktober…“
Ich legte sachte einen Finger an Lizs Lippen. „Engel, genau deswegen möchte ich doch mit dir da hoch.“ Mein breites Grinsen verriet ihr ganz gewiss, dass ich gleich etwas tun würde, was verboten war. Natürlich hätte ich mit Leichtigkeit an der Fassade hochklettern können, wie eine Spinne, die mühelos eine Wand erklimmt. Und mein Engel hätte das mittlerweile auch tun können. Allerdings wäre das mit ihrem pompösen Kleid – das umwerfend an ihr aussah – nicht so einfach. Es würde den Aufstieg schwieriger gestalten und vor allem würde so eine Aktion auch die feiernde Menge auf dem Marktplatz mitbekommen. Ich wollte mit ihr allerdings so unsichtbar wie möglich sein. Also zog ich Liz bis in die hinterste Ecke des Turms, sodass uns kaum noch jemand sehen konnte.
„Von dort oben hat man einen herrlichen Blick über die Stadt. Das musst du unbedingt sehen.“ Ich schob meinen Engel dicht an die Mauer, sanft drückte ich mich gegen sie. „Vertraust du mir?“
„Ja.“ Sie lächelte. „Das werde ich immer.“ Was für eine verlockende Zukunftsaussicht das doch war. Ich gab ihr einen langen Kuss, bevor ich mich plötzlich von ihr löste.
„Warte hier einen Moment.“ In meiner Geschwindigkeit kletterte ich an der dunkelsten Seite des Gebäudes nach oben. Die Menschen auf dem Platz feierten, sie lachten, tranken und tanzten. Niemand achtete auf uns. Und selbst wenn jemand einen Blick auf mich erhascht hatte, so war ich verschwunden noch ehe sein Gehirn die Botschaft der Augen wirklich aufnehmen konnte. Ich hatte eine kleine Tür im Sinn, die vom Turm ins Innere des alten Gemäuers führte. Mein Gewissen fand den Einbruch und das damit verbundene Aufbrechen des Türschlosses nicht sonderlich gut, aber mittlerweile kannte es meine kleinen Eskapaden. Eine Tatsache, die es geflissentlich zu ignorieren versuchte. In Windeseile rannte ich durch den Dom und als ich die untere Tür von innen öffnete, begrüßten mich zwei funkelnde blaue Kristalle im Schutz der Schatten.
„Das ging schnell“, hauchte Lesley, während ich ihr Platz machte, damit sie eintreten konnte. Sie schaute sich um und schien jeden noch so winzigen Eindruck in sich aufzusaugen. Sie schätzte und liebte die Schönheit der Kunst und der Architektur und ich mochte diese Momente, wenn sie in einer anderen Welt war und glücklich wirkte.
„Komm“, ich streckte ihr meine Hand entgegen, die sie sofort ergriff. „Das Beste kommt noch.“ Wir eilten gemeinsam die Stufen hinauf. Und noch ehe mein Engel die ersten Sterne am Nachthimmel entdeckte, erstarrte ihr Körper bereits in ihrer fließenden Bewegung.
„Wow.“ Sie betrachtete die Sterblichen unter uns, die weiterhin dem Karneval frönten. Dann wanderte ihr Blick weiter zum Wasser, auf dem unzählige Gondeln durch die sanften Wellen trieben. Ihre funkelnden Augen musterten mich fröhlich.
„Lass uns auch irgendwann einmal damit fahren, ja?“ Meine Arme legten sich zärtlich um ihre Taille.
„Wenn du möchtest. Heute oder morgen oder…“, ich lächelte. „Wir haben alle Zeit der Welt…“
„Nicholas?“ Lesleys schillernde Augen lenkten meine Aufmerksamkeit wieder vollends auf sie und die Bilder der verlockenden Vorhersehung verblichen langsam.
„Ich kann es kontrollieren“, die Erleichterung war kaum zu
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