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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Ausweis mit seinem Foto neben einem Stern präsentiert hatte wie ein müder Zauberer ein Pik Ass bei einem angestaubten Kartentrick. »Wir übernehmen jetzt.« Es klang nicht so, als ob er es zu Ella sagte, aber er sah sie dabei an. Der zweite Mann sah sie ebenfalls an, allerdings ohne seinen eigenen Ausweis vorzuzeigen.
    Die Frauen und Männer in den Overalls trugen Plastikhauben und Latexhandschuhe und in den Händen kantige Koffer oder bauchige Taschen. Sie drängten sich an Ella vorbei und schwärmten in der ganzen Wohnung aus, wo sie anfingen, kleine Schilder mit Ziffern und Zahlen aufzustellen, Flächen mit Pinseln abzuwischen und mit Pinzetten vom Boden winzige Objekte aufzuklauben, die sie in durchsichtigen Zellophantüten verstauten. Hauptkommissar Schröder warf einen Blick in die Küche, betrat sie aber nicht. »Haben Sie den Toten gefunden?«
    Â»Ja«, sagte Ella.
    Der Hauptkommissar holte ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich die Hände ab, dann fuhr er sich damit über die Stirn. Seine Haut war grau, und die Ringe unter seinen dunkelblauen Augen schienen zusehends tiefer zu werden. Im Licht der weißen Punktstrahler an der Decke wirkte sein Gesicht wie aus Wachs modelliert: keine Haut, keine Knochen darunter,
lediglich kaltes, leicht angeschmutztes Wachs mit tief in den Höhlen liegenden blauen Augen. Wenn er redete, bewegten sich seine farblosen Lippen kaum; auch das Kinn blieb reglos. Das dunkelblonde Haar war stumpf vor Schweiß und wurde an den Schläfen grau. Er trug ein safrangelbes Sporthemd, eine abgewetzte schwarze Lederjacke, ausgebleichte Jeans und ehemals hellgraue Laufschuhe mit offenen Schnürsenkeln.
    Der andere Beamte hatte schwarzes, lockiges Haar, feuchte schwarze Augen und olivbraune Haut, die über den hoch angesetzten Wangenknochen glänzte, obwohl er nicht schwitzte. Er roch nach einem orientalisch anmutenden Eau de Toilette, Sandelholz, eine Prise Zimt und Moschus wahrscheinlich. Sein anthrazitfarbener Seidenanzug wirkte, als wäre er direkt auf seinen schlanken Körper gesprüht worden. »Ich bin Hauptkommissar Aziz«, sagte er zu Ella mit einer Spur Neukölln im ansonsten akzentfreien Deutsch. »Tarik Benjamin Aziz. Möchten Sie sich etwas frisch machen, bevor wir fahren? Vielleicht die Hände waschen?«
    Â»Wohin fahren wir denn?«, fragte Ella.
    Â»Ins LKA«, sagte Hauptkommissar Schröder, »um Ihre Aussage aufzunehmen.«
    Einen Moment lang flimmerte die Luft vor ihren Augen. »Entschuldigen Sie, ich war seit zwei Tagen nicht zu Hause, und das alles hier kommt mir vor wie ein Albtraum. Ich möchte mich gern umziehen, und ich – «
    Aziz sagte: »Es wird nicht lange dauern. Ein paar Fragen nur, dann bringen wir Sie, wohin Sie wollen. Glauben Sie, dass Sie ein paar Fragen beantworten können, Doktor Bach?«
    Â»Das kommt auf die Fragen an«, sagte Ella. Sie dachte, woher kennt er deinen Namen? Hat der Polizist ihn über Funk durchgegeben? Ich habe ihnen meinen Namen nicht –
    Â»War sonst noch jemand in der Wohnung außer Ihnen und dem Toten?«, fragte Schröder.

    Â»Wann?«, fragte Ella.
    Â»Seit Sie ihn gefunden haben.«
    Â»Nein.« Aber jemand hat angerufen, dachte Ella; einer der Mörder hat angerufen .
    Â»Das Messer da – haben Sie das angefasst?«, fragte Schröder.
    Â»Nein«, sagte Ella. »Heute nicht.« Sie spürte, wie ihr schlecht wurde, und sie hätte sich gern hingesetzt.
    Â»Heute nicht?«, fragte Hauptkommissar Aziz. »Wann dann?«
    Â»Früher war ich öfter hier. Wir waren befreundet.« Ella sah, wie sich etwas in den Augen der Männer veränderte.
    Â»Befreundet oder zusammen?«, fragte Aziz.
    Ella wusste, worauf er hinauswollte, und sie fragte sich, warum? Ihr Mund war trocken. Es war keine Beziehungstat, dachte sie, das muss man doch spüren . Sie versuchte sich und den Toten, den ganzen Tatort mit seinen Augen zu sehen, aber alles, was sie sah, war Max Jansens Körper in der Blutlache auf dem Küchenboden.
    Sie versuchte sich vorzustellen, was sich in der Wohnung zugetragen hatte; wie Max ums Leben gekommen war. Sie sah seine Brust vor sich, die Rippen, die so weiß aus den klaffenden Wunden im zerschnittenen Fleisch schimmerten. Sie sah ihn vorher, wie er aufschreckte, als er das Geräusch an der Tür hörte, das Schloss, das von außen geknackt wurde. Sie sah,

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