Erlosung
wie er sich auf der Krücke in den Gang schleppte, halb benommen von den Tabletten, dem Wodka, sah den Mann mit dem Messer, nein, zwei Männer. Sah sie, wie sie Max packten und in die Küche drängten. Sah sie nur von hinten, ihre Schultern, die Hinterköpfe. Das einzige Gesicht war das von Max, verwirrt, dann entsetzt.
Sie fragte sich, wie lange es gedauert hatte, bis die Männer eingesehen hatten, dass er nichts wusste und nichts hatte. Nicht das, was sie suchten. Sie fragte sich, ob er tot gewesen war, als sie die Wohnung verlassen hatten, und ob sie sich jetzt noch in der
Nähe aufhielten, in dem grauen Audi Quattro vielleicht, unten auf der StraÃe.
Jemand hat angerufen; einer der Mörder hat angerufen.
Wir sind immer schon da. Und wenn wir nicht da sind, wissen wir, wo Sie sind.
Sie wissen es, weil sie dich verfolgt haben. Sie haben in der Klinik nach dir gefragt, und jemand hat ihnen gesagt, dass du in den Bus gestiegen bist.
Sie sind dir nachgefahren, aber du hast sie abgehängt, als du in die S-Bahn gestiegen bist. Du warst zu schnell für sie.
Nein, sie haben das Haus beobachtet, weil sie wussten, dass du irgendwann hier auftauchen würdest, wenn du nichts von Max hörst. Sie haben deine Wohnung beobachtet und die von Max.
Sie sind noch da. Sie sind irgendwo da unten auf der StraÃe, im Auto. Es gibt nur eine Möglichkeit für dich, hier mit heiler Haut herauszukommen.
»Wenn Sie wollen, können wir jetzt sofort ins Präsidium fahren«, sagte sie zu Hauptkommissar Aziz, und wenig später fuhr sie mit ihm und Hauptkommissar Schröder im Fahrstuhl hinunter, und als sie auf die StraÃe traten, hielt sie Ausschau nach dem Audi Quattro, und es war fast eine Ãberraschung, dass sie ihn nicht sehen konnte. Denn sie wusste, dass er da war; er war da.
8
Sie saÃen an einem groÃen Tisch in einem hell erleuchteten Raum ohne Fenster, in dem es sonst nichts gab als eine Videokamera auf einem Stativ in der Ecke neben der Tür, einen TV-Apparat mit VCR-Player auf einem zusätzlichen Stuhl und ein schwarzes Telefon mit mehreren Knöpfen auf der weiÃen Tischplatte. Die Männer tranken Kaffee und stellten Fragen, und manchmal ging einer von ihnen hinaus, um zu rauchen. Die Luft in dem hell erleuchteten Raum roch nach dem Rauch in ihren Kleidern.
Um das Telefon herum standen mehrere halb leere Flaschen Mineralwasser, ein paar Pappbecher, eine Thermoskanne mit Kaffee und ein Milchdöschen. Als Hauptkommissar Schröder zum zweiten Mal hinausgehen wollte, um zu rauchen, sagte Ella: »Bitte, bleiben Sie jetzt da!«
Der Hauptkommissar erstarrte, die Körperhaltung eine einzige Studie in Ãberraschung. Hauptkommissar Aziz legte den Kopf in den Nacken und schien die dunkelgrau gestrichene Decke nach dem Loch abzusuchen, durch das der Blitz in seinen Kollegen gefahren war. Seine Lippen zuckten kaum merklich.
Ella sagte: »Sie behandeln mich nicht wie eine Zeugin, sondern wie eine Verdächtige. Ich möchte wissen, warum!«
Schröder machte kehrt, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und nickte. »Wenn Sie es so wollen â¦Â« Mehr sagte er nicht, nur: Wenn Sie es so wollen . Er beugte sich zu einem altmodischen Kassettenrekorder auf einem Beistelltisch aus schwarz lackiertem
Blech und fragte mit veränderter Stimme: »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir unsere Unterhaltung von jetzt an auf Band aufnehmen, Doktor Bach?«
»Nein.«
»Gut.« Er drückte eine Taste an dem Rekorder, überzeugte sich, dass die eingelegte Kassette lief und sprach in ein aus der Mitte der Tischplatte ragendes Mikrofon: »Vernehmung der Zeugin Ella Bach. Es ist 20 Uhr 47, anwesend sind Hauptkommissar Matthias Schröder und Hauptkommissar Tarik Aziz.«
Das, was seine Stimme so anders machte, war ein unterdrückter Zorn, den sie erst jetzt spürte. Sie spürte ihn so deutlich wie die nassen Stellen auf ihrer Haut, nachdem sie sich auf der Toilette des Polizeipräsidiums nicht nur die Hände und das Gesicht, sondern auch das meiste Blut aus Bluse und Jeans gewaschen hatte.
»Ich weise Sie darauf hin, dass Sie unsere Fragen vollständig und wahrheitsgemäà beantworten müssen«, sagte er.
Ella nickte. Sie hatte einen Fehler gemacht, indem sie das Heft wieder an sich reiÃen wollte, aber woher kommt dieser Zorn? Der Zorn war so heftig, dass sie sich fragte, wie es Schröder gelungen war, ihn bisher so gut zu
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