Erlosung
in einen Pappbecher und stellte ihn vor sie hin auf den Tisch. Sie griff danach und trank ihn mit schnellen, kleinen Schlucken aus, bevor sie ihn wieder genau auf den feuchten Ring auf der langsam rotierenden Tischplatte zurückstellte. Sie konzentrierte sich auf die Stelle, und der Tisch und die Wände hörten auf sich zu drehen.
Aziz fragte: »Wie lange kannten Sie ihn, sagten Sie?«
»Max? Eine Ewigkeit. Sieben Jahre.«
Der Hauptkommissar nickte nachdenklich und wechselte einen Blick mit seinem Kollegen, bevor er in seinen Becher starrte, als könnte ihm der Kaffeesatz auf dem Grund neue Erkenntnisse über den Mord und Ellas Verhältnis zu dem Toten vermitteln. Dann fragte er: »Möchten Sie hören, was ich über die ganze Angelegenheit denke?«
Nein, dachte Ella, will ich nicht; ich will, dass dieses Verhör endlich vorbei ist, damit ich nach Hause kann, falls ich überhaupt noch ein Zuhause habe. Dann dachte sie: und wenn nicht? Wohin kann ich denn überhaupt gehen, wenn ich zu Hause nicht mehr sicher bin?
Schröder lächelte mit seinen farblosen Lippen, die sie an einen frisch desinfizierten Wundmund erinnerten. »Ich denke, Max Jansen war auch nach ihrer Trennung noch in Sie verliebt, und irgendwann haben Sie diese Liebe doch noch einmal erwidert. Und wo wieder Liebe ist, da ist auch wieder Eifersucht, meistens jedenfalls. Es soll sich damals ja um eine ziemlich stürmische Affäre gehandelt haben â¦Â«
»Woher wollen Sie das wissen? Worauf wollen Sie hinaus?«
Aziz fragte: »Haben Sie sich nicht kürzlich erst von Ihrem letzten Liebhaber, einem â wie war der Name noch gleich? Silvester?, nein, Silvan â einem Doktor Silvan Grothe getrennt, weil Sie wieder zu Max Jansen zurückwollten?«
»Wer sagt denn das? Silvan? Haben Sie etwa mit ihm gesprochen? «
»Sind Sie als Notärztin schon mal gerufen worden, wenn eine eifersüchtige Frau mit einem Messer auf Ihren untreuen Liebhaber oder ihre Nebenbuhlerin losgegangen ist?«, wollte Schröder wissen. »Nein? Wir schon, und glauben Sie mir, das sieht nicht viel anders aus als bei Max Jansen. Ein Messer in der Hand einer enttäuschten, verletzten Geliebten â¦Â«
»Wir haben uns im Guten getrennt«, erklärte Ella, plötzlich von kalter Ruhe erfüllt, »und seitdem waren wir Freunde, sonst nichts, egal, was Doktor Grothe behauptet. Ich wollte nicht zu Max zurück und er nicht zu mir.«
Schröder fuhr unbeeindruckt fort: »Wenn wir also mal für eine Minute annehmen, diese ominöse verschwundene Patientin von Ihnen war wirklich so zugerichtet, wie Sie behauptet haben, woher wissen wir, dass nicht Sie das waren? Vielleicht haben Sie ja festgestellt, dass Max, wegen dem Sie den Herzchirurgen mit der tollen Karriere verlassen haben, sich in der Zwischenzeit vorübergehend anderweitig orientiert hatte. Sie wollten eine Aussprache herbeiführen, alle drei in der Wohnung der Nebenbuhlerin, es kommt zum Streit, da liegt ein Messer herum â «
»Ich will einen Anwalt«, sagte Ella.
»Wie bitte?« Schröder schloss die Augen, wie jemand, der sich etwas Unvorstellbares wenigstens entfernt auszumalen versucht.
»Wenn Sie mich nicht als Zeugin, sondern als Verdächtige behandeln, will ich auf der Stelle einen Anwalt«, sagte Ella.
»Brauchen Sie denn einen?«, fragte Aziz.
Ella antwortete nicht.
Aziz schien sich unvermittelt einem anderen Teilchen des Puzzles zuzuwenden. »Können Sie mir erklären, warum die Frau noch gelebt hat, als Sie sie aufgefunden haben?«
»Sie lag im Sterben«, sagte Ella.
»Aber Max Jansen war nicht mehr am Leben, und ihn hatten die Täter nicht so zugerichtet wie die Frau, oder?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte Ella.
»Ihn haben sie mehr oder weniger schnell getötet, weil sie überzeugt waren, er könnte ihnen doch nicht weiterhelfen â wenn wir uns an Ihre Theorie halten«, fuhr Aziz fort. »Aber die junge Frau â Ihre verschwundene Patientin â hatte kein so groÃes Glück, falls man in diesem Zusammenhang von Glück reden kann. Sie wurde gefoltert, auf grausame, unmenschliche Weise, wie Sie sagen. Warum also hat sie dem oder den Tätern nicht gesagt, was die wissen wollten? Oder wenn sie etwas haben wollten, warum hat sie es ihnen nicht gegeben? Weil sie es selbst gar nicht wusste? Weil sie das Etwas nicht
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