Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
mit Angehörigen eines neuen Patienten vereinbart, dessen Geschichte ihn wirklich interessiert hat, und ich habe ihm versprochen, diesen Fall zu Ende zu bringen. Esad hat die ganze Nacht mit Safet verbracht, und ich bin sehr früh am nächsten Morgen mit der Krankenschwester zusammen gekommen. Wir haben geredet und gelacht und uns richtig voneinander verabschiedet. Dann haben wir alles zu Hause in seinem eigenen Bett gefilmt. Esad hatte selbst alles vorbereitet. Ich habe die Kamera gehalten. Wir haben ihn gemeinsam auf seine letzte Reise geschickt. Er hatte das Ganze bis ins kleinste Detail geplant. Es sollte bei Sonnenaufgang stattfinden, das war sein Wunsch. Er wollte das Licht über dem Fjord sehen, während er einschlief. Das Projekt hatte ihn Jahre der Vorbereitung gekostet. Er hatte vor einigen Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen, damit es Safet nach seinem Tod an nichts mangeln sollte. Safet hatte noch das ganze Leben vor sich, und mit dem Geld würde er ein Auskommen haben.«
Doktor Andersen seufzte.
»Aber es hat Safet schwer mitgenommen, dass Esad diesen Ausweg gewählt hat. Er hat mit gewaltigen Schuldgefühlen zu kämpfen.«
Mit denen er sich jetzt für den Rest seines Lebens herumschlagen durfte, dachte Liv und fragte sich wütend, wie man nur so egoistisch sein konnte.
»Es war nie beabsichtigt, ihm den Glauben an das Leben zu nehmen«, sagte Doktor Andersen.
Aber wie zur Hölle hätte der Junge denn anders reagieren sollen? Er hatte alle verloren und noch dazu das Gefühl, selbst daran Schuld zu sein. Liv seufzte und stand auf. Sie drehte sich ein paarmal um die eigene Achse und hielt erneut nach einer Krankenschwester oder einem Arzt Ausschau, der etwas über Safets Zustand sagen konnte. Warum dauerte das so lange?
»Aber was ist dann passiert? Mit dem Video? Haben Sie Angst bekommen?«, fragte Miroslav.
Der Arzt seufzte wieder. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf.
»Ich konnte es einfach nicht. Wir hätten das Gesicht von Safet und der Krankenschwester verfälscht, aber ich bekam Angst, dass es trotzdem herauskommen würde. Wir stellten das Video fertig, speicherten es auf Esads Computer und fügten den Text hinzu, und so gesehen war alles bereit, es auf YouTube zu stellen, doch dann habe ich angefangen, über die Konsequenzen nachzudenken. Ich befürchtete plötzlich, die Versicherungsgesellschaft könnte das Video sehen und herausfinden, dass es Safet war, der da neben dem Bett stand. Esad würden sie auf jeden Fall wiedererkennen. Vielleicht hätten sie sich geweigert, die Versicherung auszubezahlen.«
»Sie haben ihn in seinem eigenen Auto auf den Parkplatz gefahren und dort zurückgelassen?«, fragte Miroslav.
Der Arzt nickte. »Am Samstagabend nach Einbruch der Dunkelheit.« Die Krankenschwester habe ihm geholfen, erklärte er.
»Wir sind in ihrem Auto zurückgefahren. Ich habe die Kanüle in Esads Auto gelegt, damit es so aussah, als wäre er an einer Überdosis gestorben. Ich habe allerdings vergessen, ihn auf den Fahrersitz zu setzen.« Dann sagte er, dass das, was später mit Esads Leiche geschehen war, natürlich schlimm sei, aber auch sein Gutes gehabt habe, da so alles nach einem Mord aussah, so dass die Versicherung bestimmt keine Fragen stellte.
Welch herrlicher Zynismus. Livs Gedanken kreisten unaufhörlich um Safet. Er riskierte wirklich, wegen Mittäterschaft angeklagt zu werden. Hatten sie das wirklich nicht bedacht, als sie seine Zukunft geplant hatten? Hatten sie ihn überhaupt gefragt, ob das die Zukunft war, die er sich wünschte?
Allmählich hatte sie das Gefühl, die Wahrheit zu kennen, und sie verstand auch, warum Safet sie ihr nicht anvertraut hatte. Er hatte sich geschämt, wie er Esad behandelt hatte, aber er fürchtete auch, dass seine Wut und seine mangelnde Fähigkeit, ihm zu vergeben, mit zu Esads Entschluss, sich das Leben zu nehmen, beigetragen hatten. Er hatte sich schuldig gefühlt, und diese Schuldgefühle waren schließlich so stark geworden, dass er die Tabletten als einzigen Ausweg gesehen hatte. Armer Kerl. Ihm fehlte wirklich ein Mensch, an den er sich anlehnen konnte. Jemand, der ihm half, sich selbst zu vergeben.
»Ich hatte nicht daran gedacht, dass Esad ein ganzes Morphinlager …«, sagte der Arzt und seufzte.
Liv sah zu Doktor Andersen, der wieder aufgestanden war. Er ging auf den Flur hinaus und schaute sich um, kam aber schnell mit einem Kopfschütteln zurück. Sein Blick verriet, dass er das Schlimmste
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