Ernest Hemingway
schon einmal auf diesem Bahnhof gewesen, und er wußte, daß es oben kein Zimmer gab, wo man hätte hingehen können. Mr. Wheeler überließ nie etwas dem Zufall.
II. Teil Mr. Johnson spricht davon in Vevey
Drinnen im Bahnhofscafe war es warm und hell; die Tische waren blank vom Abwischen, und auf manchen lagen rot-und weißgestreifte Tischtücher, und auf den anderen lagen blau-und weißgestreifte Tischtücher, und auf allen standen Körbe mit Brezeln in durchsichtigen Papiertüten. Die Stühle waren geschnitzt, aber die hölzernen Sitze waren abgenutzt und bequem. An der Wand hing eine Uhr, am anderen Ende des Zimmers war eine Messingtheke, und draußen vor dem Fenster schneite es. Zwei der Bahnhofsgepäckträger saßen am Tisch unter der Uhr und tranken jungen Wein.
Ein dritter Träger kam herein und sagte, der Simplon-Orient-Express habe in Saint Maurice eine Stunde Verspätung gehabt. Die Kellnerin ging hinüber an Mr. Johnsons Tisch.
«Der Express hat eine Stunde Verspätung, mein Herr», sagte sie. «Wünschen Sie etwas Kaffee?»
«Wenn es nicht zuviel Mühe macht.»
«Bitte?» fragte die Kellnerin.
«Ich möchte welchen.»
«Danke, mein Herr.»
Sie brachte den Kaffee aus der Küche, und Mr. Johnson blickte aus dem Fenster auf den fallenden Schnee im Licht des Bahnsteigs.
«Sprechen Sie außer Englisch noch andere Sprachen?» fragte er die Kellnerin.
«O ja, ich spreche Deutsch, Französisch und Dialekt.»
«Möchten Sie irgend etwas trinken?»
«O nein, mein Herr. Es ist nicht gestattet, im Cafe mit der Kundschaft zu trinken.»
«Zigarre gefällig?»
«O nein», lachte sie. «Ich rauche nicht, mein Herr.»
«Ich auch nicht», sagte Johnson. «Es ist eine schmutzige Angewohnheit.»
Die Kellnerin ging weg, und Johnson zündete sich eine Zigarette an und trank seinen Kaffee. Die Uhr an der Wand zeigte auf Viertel vor zehn. Seine Uhr ging ein bißchen vor. Der Zug sollte um 10 Uhr 30 kommen – eine Stunde Verspätung, das hieß 11 Uhr 30. Johnson rief die Kellnerin.
«Signorina!»
«Was wünschen Sie, mein Herr?»
«Sie möchten nicht ein bißchen mit mir spielen?»
Die Kellnerin errötete.
«Nein, mein Herr.»
«Ich meine nichts Wildes. Sie würden mir wohl nicht Gesellschaft leisten und sich das Nachtleben von Vevey ansehen? Nehmen Sie eine Freundin mit, wenn Sie wollen.»
«Ich muß arbeiten», sagte die Kellnerin. «Ich habe hier meine Pflichten.»
«Ich weiß», sagte Johnson. «Aber können Sie nicht Ersatz beschaffen? Das pflegte man im Bürgerkrieg zu tun.»
«O nein, mein Herr. Ich muß selbst hier sein, in Person.»
«Wo haben Sie Ihr Englisch gelernt?»
«In der Berlitz School, mein Herr.»
«Erzählen Sie mir davon», sagte Johnson. «Waren die Berlitz-Schüler eine wilde Bande? Wie war denn alles, das Geknutsche und Geflirte? Waren eine Menge Schwule darunter? Sind Sie je Scott Fitzgerald begegnet?»
«Bitte?»
«Ich wollte wissen, ob diese Studientage die glücklichsten Tage Ihres Lebens waren? Was für eine Art Mannschaft hatte Berlitz letzten Herbst?»
«Sie scherzen wohl, mein Herr?»
«Nur ein bißchen», sagte Johnson. «Sie sind ein schrecklich gutes Mädchen. Und Sie wollen wirklich nicht mit mir spielen?»
«O nein, mein Herr», sagte die Kellnerin. «Soll ich Ihnen irgend etwas bringen?»
«Ja», sagte Johnson. «Wollen Sie mir die Weinkarte bringen?»
«Jawohl, mein Herr.»
Johnson ging mit der Weinkarte hinüber an den Tisch, wo die drei Gepäckträger saßen. Sie blickten zu ihm auf. Es waren alte Männer.
«Wollen Sie trinken?» fragte er auf deutsch. Einer von ihnen nickte und lächelte.
«Oui, Monsieur.»
«Sie sprechen Französisch?»
«Oui, Monsieur.»
«Was wollen wir trinken? Connais-vous des Champagnes?»
«Non, Monsieur.»
»Fau les connaitre», sagte Johnson. «Fräulein!» Er rief die Kellnerin. «Wir wollen Champagner trinken.»
«Welchen Champagner bevorzugen der Herr?»
«Den Besten», sagte Johnson. «Laquelle est le Beste?» fragte er die Gepäckträger.
«Le meilleur?» fragte der Gepäckträger, der zuerst gesprochen hatte.
«Aber gewiß doch.»
Der Träger nahm eine goldumrandete Brille aus seiner Jackentasche und besah sich die Liste. Er glitt mit seinem Finger die vier mit der Maschine geschriebenen Namen und Preise entlang.
«‹Sportsmann› », sagte er. ‹«Sportsmann› ist der Beste.»
«Sind Sie einverstanden, meine Herren?» fragte Johnson die anderen Träger. Der eine Träger nickte. Der andere sagte auf
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