Ernest Hemingway
Mr. Wheelers Tisch. «Der Express hat eine Stunde Verspätung, mein Herr», sagte sie. «Wünschen Sie etwas Kaffee?»
«Wenn Sie glauben, daß er mich nicht wach halten wird.»
«Bitte?» fragte die Kellnerin.
«Bringen Sie mir welchen», sagte Mr. Wheeler.
«Danke, mein Herr.»
Sie brachte den Kaffee aus der Küche, und Mr. Wheeler blickte aus dem Fenster auf den fallenden Schnee im Licht des Bahnsteigs.
«Sprechen Sie außer Englisch noch andere Sprachen?» fragte er die Kellnerin.
«O ja, mein Herr. Ich spreche Deutsch, Französisch und Dialekt.»
«Möchten Sie irgend etwas trinken?»
«O nein, mein Herr. Es ist nicht gestattet, im Cafe mit der Kundschaft zu trinken.»
«Wie war’s mit einer Zigarette?»
«O nein, mein Herr. Ich rauche nicht, mein Herr.»
«Schon recht», sagte Mr. Wheeler. Er blickte von neuem aus dem Fenster, trank seinen Kaffee und zündete sich eine Zigarette an.
«Fräulein!» rief er.
Die Kellnerin kam heran.
«Was wünschen Sie, mein Herr?»
«Sie», sagte er.
«Sie müssen nicht so mit mir scherzen.»
«Ich scherze nicht.»
«Dann sollten Sie es nicht sagen.»
«Ich habe keine Zeit für eine Diskussion», sagte Mr. Wheeler. «Der Zug kommt in vierzig Minuten. Wenn Sie mit mir hinaufgehen, gebe ich Ihnen 100 Franken.»
«Sie sollten solche Dinge nicht sagen, mein Herr. Ich werde den Gepäckträger bitten, mit Ihnen zu reden.»
«Ich will keinen Gepäckträger», sagte Mr. Wheeler. «Und auch keinen Polizisten, und auch keinen von den Jungen, die Zigaretten verkaufen. Ich will Sie.»
«Wenn Sie so reden, müssen Sie fortgehen. Sie können nicht hierbleiben und so reden.»
«Warum gehen Sie denn nicht weg? Wenn Sie weggehen, kann ich nicht mit Ihnen sprechen.»
Die Kellnerin ging weg. Mr. Wheeler beobachtete, ob sie wohl mit den Trägern sprechen würde. Sie tat es nicht.
«Mademoiselle!» rief er. Die Kellnerin kam herüber. «Bringen Sie mir bitte eine Flasche Sion.»
«Jawohl, mein Herr.»
Mr. Wheeler beobachtete, wie sie hinausging, dann mit dem Wein wieder hereinkam und ihn an den Tisch brachte. Er blickte auf die Uhr.
«Ich gebe Ihnen 200 Franken», sagte er.
«Bitte sagen Sie nicht solche Sachen.»
«200 Franken sind eine Menge Geld.»
«Sie sollten nicht sagen solche Sachen», sagte die Kellnerin. Sie begann ihr Englisch zu vergessen.
Mr. Wheeler sah sie interessiert an.
«200 Franken.»
«Sie sind widerlich.»
«Warum gehen Sie denn nicht weg? Ich kann nicht mit Ihnen reden, wenn Sie nicht hier sind.»
Die Kellnerin verließ den Tisch und ging zur Theke hinüber. Mr. Wheeler trank den Wein und lächelte eine Weile vor sich hin.
«Mademoiselle!» rief er. Die Kellnerin tat so, als ob sie ihn nicht höre. «Mademoiselle!» rief er noch einmal. Die Kellnerin kam heran.
«Wünschen Sie etwas?»
«Und wie. Ich gebe Ihnen 300 Franken.»
«Sie sind widerlich.»
«300 Schweizer Franken.»
Sie ging weg, und Mr. Wheeler sah ihr nach. Ein Gepäckträger öffnete die Tür. Es war der, in dessen Obhut Mr. Wheelers Gepäck war.
«Der Zug kommt, mein Herr», sagte er auf französisch.
Mr. Wheeler stand auf.
«Mademoiselle!» rief er. Die Kellnerin näherte sich dem Tisch. «Wieviel kostet der Wein?»
«7 Franken.»
Mr. Wheeler zählte 8 Franken ab und ließ sie auf dem Tisch liegen. Er zog seinen Mantel an und folgte dem Gepäckträger auf den Bahnsteig, wo der Schnee fiel.
«Au revoir, Mademoiselle», sagte er. Die Kellnerin beobachtete, wie er hinausging. Er ist häßlich, dachte sie, häßlich und widerlich. 300 Franken für etwas, was gar nichts ist. Wie oft habe ich das umsonst getan! Und nirgends, wo man hier hingehen kann. Wenn er Verstand gehabt hätte, würde er gewußt haben, daß es hier kein Zimmer gibt. Keine Zeit und keinen Ort, wo man hingehen konnte. 300 Franken dafür. Was für Leute, diese Amerikaner!
Als er da auf dem Betonbahnsteig neben seinen Reisetaschen stand und die Schienen entlang dem Scheinwerfer des Zugs entgegenblickte, der durch den Schnee herankam, dachte Mr. Wheeler, daß es ein sehr billiges Vergnügen war. Tatsächlich hatte er außer für sein Abendbrot 7 Franken für eine Flasche Wein und einen Franken fürs Trinkgeld ausgegeben. 75 Centimes würde besser gewesen sein. Er würde sich jetzt wohler fühlen, wenn er 75 Centimes Trinkgeld gegeben hätte. Ein Schweizer Franken sind 5 französische Francs. Mr. Wheeler war auf dem Weg nach Paris. Er war sehr sparsam mit Geld und machte sich nichts aus Frauen. Er war
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