Ernst Bienzle 14 - Bienzle und die lange Wut
hab gedacht, daß ich hier gebraucht werde...« Und lauernd setzte er hinzu: »Damit du nicht so alleine bist.«
»So’n Quatsch«, sagte Mascha und ging aus dem Zimmer.
Nach ein paar Sekunden stand Jürgen auf und folgte ihr. Als er die Tür zu ihrem Zimmer aufstieß, hatte sich Mascha auf die Matratze am Boden geworfen und ihr Gesicht in den Armen vergraben. Jürgen blieb an den Türbalken gelehnt stehen und sagte: »Also ehrlich, das hätt ich dem Joe nicht zugetraut, daß er den Lohmann alle macht!«
Mascha hob den Kopf. »Er war’s auch nicht... bestimmt nicht!«
»Aber jetzt wird er erst mal ’ne Weile fehlen, was?« Jürgen kniete sich dicht neben Mascha auf die Matratze, faßte ihr in den Nacken und kraulte sie am Haaransatz.
Sie wischte seine Hand weg. »Laß das! Spinnst du?«
»Ich hab bloß nie was mit dir gemacht, weil Joe ’n Freund ist. Aber jetzt...« Er faßte erneut in Maschas Nacken, nun aber sehr viel fester, und zog das widerstrebende Mädchen an sich.
»Jürgen, hör auf!«, schrie sie wütend.
»Jetzt komm – du willst das doch auch. Du brauchst das doch... Und auf den Joe kannst du garantiert nicht warten... Der kriegt lebenslänglich, und das heißt wenigstens zwölf Jahre!«
Jürgen versuchte sie zu küssen und faßte nach ihren Brüsten. Mascha schnellte hoch. Sie hatte plötzlich ein Messer in der Hand, das unter dem Kopfende der Matratze gelegen haben mußte. Auch sie kniete jetzt. Ihre Augen funkelten. Jürgen starrte sie ungläubig an.
Mascha fuhr ihn an: »Jetzt hör mal zu, du... Ich liebe Joe... ich lieb ihn mehr, als du dir das überhaupt vorstellen kannst. Ich würde Joe nie betrügen. Nicht mit dir und auch sonst mit keinem. Für Joe würd ich alles tun. Verstehst du? Alles. Für Joe stech ich dich auch ab...! Und jetzt raus hier. Raus! Raus! Raus!«
Tatsächlich machte sie ein paar gefährliche Bewegungen mit dem Messer in Richtung auf Jürgens Brust. Der sprang auf und rannte hinaus. Sie hörte ihn die Treppe hinunterpoltern, dann fiel die Haustür ins Schloß. Mascha warf sich auf die Matratze und fing hemmungslos an zu weinen.
Gächter brachte Patrick zu Bett. Der Junge bestand darauf, daß sein Onkel Günter ihm eine Gutenachtgeschichte erzählte – eine Kriminalgeschichte natürlich; denn für ihn war der Onkel ein Held, der die bösen Verbrecher reihenweise und stets im Alleingang zur Strecke brachte. Gächter hatte gegen diese Legende nie etwas gesagt. Im Gegenteil: Seine Geschichten untermauerten Patricks hohe Meinung von seinem Onkel Kriminalkommissar. Mit glühenden Backen und großen Augen hörte der Junge auch jetzt wieder zu, als Gächter ihm erzählte, wie er erst vor zwei Jahren eine internationale Geldwäscherbande dingfest gemacht hatte. Ganz allein... na gut, sein Kollege Bienzle war ihm ein bißchen zur Hand gegangen, aber im Grunde war es wieder einmal ein grandioses Ein-Mann-Unternehmen gewesen. Patricks Vorstellung freilich, daß er mit Onkel Günter in den nächsten Tagen und Wochen gemeinsam auf Verbrecherjagd gehen könne, würde sich wohl nicht erfüllen. Kerstin, Gächters derzeitige Freundin, war bereit, sich um den Jungen zu kümmern, wenn Gächter keine Zeit hatte. Ein bißchen enttäuscht war Patrick schon, aber er war andererseits ja auch einsichtig. Und so schlief er am Ende doch einigermaßen zufrieden ein.
Mascha hatte sich gefangen. Sie war jetzt auf dem Weg durch die Räume der Wohngemeinschaft, durchsuchte Schubladen und Schränke, hob umgestülpte Töpfe hoch und durchwühlte die Betten. Sie kam in Jürgens Zimmer. An den Wänden hingen Plakate mit Trucks, Bilder von Wüsten-Rallyes, das große Foto eines Formel-1-Boliden. Ein anderes großes Foto zeigte Jürgen und Joe, wie sie breit grinsend vor einem besonders exotischen LKW standen. Auch Jürgens Zimmer durchforschte Mascha systematisch. Endlich fand sie, was sie suchte: die Waffe, von der Jürgen am Morgen gesprochen hatte. Es war ein ziemlich schwerer Revolver. Mit der Waffe in der Hand ging sie hinaus, kehrte aber gleich wieder zurück, begann erneut zu suchen und fand die Patronen für den Revolver in einem Schuh, der noch in einem Karton verpackt war. Schließlich nahm sie aus einer Schublade einen Autoschlüssel, Jürgens Ersatzschlüssel, und ging aus dem Raum.
Hannelore und Bienzle verabschiedeten sich vor dem Haus in der Ludwigstraße. Noch hatte jeder seine eigene Wohnung, und eigentlich waren in diesem Augenblick beide ganz froh darüber. Dabei
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