Ernten und Sterben (German Edition)
schwingt sich auf, sich im frei stehenden Holzbackofen zu verstecken, während seine Mutter auf Zehenspitzen unter dem Amselnest steht und wartet, dass die Jungen endlich schlüpfen. Das hätten sie schon vor ein, zwei Monaten tun sollen.
Thea Brommel plant, den Einzug in ihr Haus mit Bier, Grill und Musik zu feiern. Sie hatte sich vom allerersten Augenblick an in dieses einstmals weiß gestrichene, von alten, ungestutzten andalusischen Rosen bewachsene Haus verliebt. Lange hatte sie davon geträumt, es zu erwerben. Und nun ist es so weit.
Niemand ahnt, dass bald ein grässlicher Mord Kirchwies, das Herzlichste Dorf, aufscheuchen wird wie einen Schwarm Fliegen von einem Haufen Kuhfladen.
* * *
Die Hunde sind zu dritt. Früher hatte jeder einen Namen gehabt, aber seit die alte Kernerin tot ist, hat sich kaum jemand mehr um die drei Mischlinge gekümmert. Man hätte ja meinen müssen, dass die drei komplett verwahrlost wären. Oder den Hungertod gestorben wären. Doch sie entpuppten sich als wahre Überlebenskünstler. Jeder für jeden, alle für einen, so beschaffen sie sich ihr Futter und ihren Schlafplatz in und um Kirchwies. Jeden Tag und jede Nacht aufs Neue.
Einer, der braune Kurze, findet zwischendurch immer wieder einmal Unterkunft und Verpflegung bei einer menschlichen Wohltäterin und kann dann seine Freunde mit Resten versorgen. Er ist der natürliche Anführer der drei, die sämtlich keine Familie und kein weiteres Streben haben als Essen und Trinken und ein bisschen Wohlbefinden.
Auch heute sind sie wieder unterwegs. Heute, an diesem Montag, einem Junitag, im Morgengrauen. Später glaubte ein Frühaufsteher, die drei von seinem Fenster aus bemerkt zu haben. Die Dorfstraße hinunter Richtung Rathaus und Sparkasse seien sie gelaufen, gab er an.
Hinterm Dorfkramer machen sie eine Biege. Beim Dorfkramer gibt’s immer was Essbares aufzutreiben. Manchmal kommt der kleine Chinese sogar selbst aus seinem Laden, um ihnen ein Stück Wurst, einen Kanten altes Brot oder ein paar überreife Erdbeeren zukommen zu lassen. An diesem Morgen aber steht er nicht vor der Tür. Also biegen sie auf den Sandweg ein, der zum Hühnerhof führt. Die Hühner interessieren sie nicht, ebenso wenig die beiden jungen Ziegen und das weiß-schwarz gefleckte Lamm. Sie sind schließlich keine Mörder.
Warm ist’s, und es staubt ein wenig, als sie hinter einem Wald voller Brennnesseln die beiden Mäuse ausscharren, die sie vor Tagen dort erlegt und vergraben haben.
»Grad für den hohlen Zahn«, kläfft der braune Kurze.
»Sei nicht undankbar«, erwidert der wollige Dicke. »Man muss alles nehmen, wie es kommt.«
»Hunger!«, knurrt das hochaufgeschossene Skelett.
Beim Schmied hält der Schulbus an. Die drei rümpfen die Nase vor dem Abgasgestank und verfolgen interessiert, wie eine Gruppe Kinder einsteigt. Das eine oder andre Mal hatte ihnen schon mal eines der Kleinen ein Pausenbrot zugeworfen oder ihnen eine verhutzelte Banane hingehalten. Heute nicht. Der Braune bellt auf. Seine Stimme überschlägt sich. Dann überqueren sie auf lautlosen Pfoten gemeinsam die leere Straße.
Sie wenden sich seitwärts, dorthin, wo der Feldbach unweit des Rathauses druckvoll den Hügel hinunterfließt. Sie kühlen sich die Beine im rauschenden Wasser und nehmen ein paar tiefe Schlucke. Das Skelett leckt dem Dicken die Ohren.
Sie biegen in den Libellenweg ein. Ein Sträßchen mit netten Häusern, die man sich leisten kann. Kaum eines hat einen Zaun.
Der Braune bleibt stehen. »Blutgeruch«, winselt er und reckt die Nase in die Luft. »Riecht ihr das auch?«
Die anderen blicken um sich.
»Frischfleisch«, beginnt das Skelett zu jubilieren.
Der Blutgeruch ist da, kein Zweifel. Sie warten eine Weile am Wegesrand. Der Dicke besitzt die empfindlichste Nase. Er versucht zu wittern, woher der Duft kommt.
Langsam, sachte, mit der Nase am Boden streifen sie hinter dem Braunen her. Der Geruch zieht von einem der Häuser herüber, die lieblich aufgereiht am Libellenweg liegen.
Die drei sind jetzt auf der Hut. In der Nähe von Menschen gilt es, vorsichtig, zurückhaltend und geduldig zu sein. Ein Kind schreit in der Nähe. Ein junges Kind. Zwei, drei schwarze Vögel mit gelben Schnäbeln fliegen aufgeregt hintereinander her hinauf zum Wald.
Der Geruch kommt von der Rückseite des Hauses, vor dem sie innehalten und warten. Könnten sie Zahlen lesen, würden sie feststellen, dass es die Nummer achtzehn ist. Die beiden anderen Hunde wenden ihren
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