Ernteopfer
Meter große und dürre Männlein mochte bestimmt weit über 70 Jahre alt sein. Ich hatte Jacques schon lange nicht mehr be sucht, er hatte sich nicht im Geringsten verändert. Selbst der verschmierte graue Kittel schien noch derselbe zu sein.
Seine Gesichtszüge lockerten sich, als er mich erkann te.
»Na, was ist denn das für eine Überraschung! Reiner! Wie gehts denn so? Wir haben uns schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
Nachdem er all seine Reagenzgläschen in eine Halte rung auf seinem Tisch gesteckt hatte, schüttelten wir uns ausgiebig die Hände.
»Servus Jacques, ich habe mir gedacht, ich muss dich mal wieder besuchen und schauen, was du hier so alles treibst.«
»Spinn nicht rum, Reiner. Was willst du? Du kommst doch nur vorbei, wenn du was brauchst!«
Er schien bei dieser Feststellung nicht böse zu sein, im Gegenteil, er klang eher belustigt.
»Dir kann man halt nichts verheimlichen, alter Freund. Du hast schon immer einen rasiermesserscharfen Verstand gehabt.«
»Und eine verdammt gute Menschenkenntnis«, ergänz te er mit einem verschmitzten Lächeln.
»Ja, das natürlich auch. Mensch, hier hat sich ja über haupt nichts verändert. Bist du noch immer jeden Tag hier in deinem Labor?«
»Du weißt ja, wie es ist. Seit Elfi vor gut zehn Jahren gestorben ist, hält mich nichts mehr im Haus. Ich bin jeden Morgen ab 7 Uhr hier draußen im Schuppen. Mittags ma che ich mir dann die Gerichte von Essen auf Rädern warm und lese meine Zeitung, dann bin ich bis abends wieder hier. Und so geht das jeden Tag, auch am Wochenende.«
Ich schaute auf seinen Labortisch, konnte aber mit sei nen Gerätschaften nichts anfangen.
»Welches Geheimnis entschlüsselst du da, Jacques?«
»Oh nichts Besonderes. Ich versuche nur, die soge nannte Photosynthese im Labor nachzubilden.« Der Be griff Photosynthese war mir zwar bekannt, was er mit der Nachbildung meinte, verschloss sich aber meinem be grenzten Horizont.
»Na, das ist ja eine prima Aufgabe. Da wünsche ich dir viel Erfolg dabei. Gibts dafür denn einen Nobelpreis?«
Jacques schaute mich, obwohl er einiges kleiner war, von oben herab an.
»Du willst mich wohl veräppeln, was? Na ja, dein Hu mor war schon mal besser. So, jetzt schieß los, was brauchst du? Hat es was mit dem toten Polen zu tun, von dem ich in der Zeitung gelesen habe?«
»Ja schon, wahrscheinlich. Das heißt, äh, ich weiß es noch nicht so richtig. Also, warum ich eigentlich hier bin. Könntest du für einen Abend dein selbstgebautes Teles kop entbehren?«
Jacques schaute mich nachdenklich an.
»Meinst du etwa das mit dem eingebauten Richtmik rofon, oder?«
»Ja genau, das bräuchte ich. Jedenfalls, wenn du es im Moment nicht an James Bond ausgeliehen hast.«
»Da mach dir mal keine Sorgen. James Bonds Technik- kram ist das reinste Spielzeug gegen meine Erfindungen, das weißt du ganz genau. Na, dann komm mal mit.«
Wir verließen sein Labor. Jacques verzichtete darauf, es abzuschließen.
Ich folgte dem meiner Meinung nach größten Erfinder der Neuzeit in dessen Haus. Wie ich wusste, hatte er seine Spielereien allesamt im Keller aufgebaut. Eine alte Steintreppe führte uns nach unten. Wir kamen in einen großen Raum. Nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, fühlte man sich in einer anderen Welt angekommen. Die Wände und zahlreiche Tische waren mit allem möglichen Technikzeug vollgestopft. Ich muss zugeben, dass ich mir die Funktion der wenigsten Geräte vorstellen konnte. Ich ließ meine Blicke schweifen und entdeckte zwischen einem seltsam verdrehten Flaschenzug und einem Gegenstand, der mich an einen Hosenbügel erinnerte, ein Stück leicht gebogenes Plastik. Ich nahm es in die Hand. Es war aus ei ner handelsüblichen Plastikflasche eines Discounters aus geschnitten und maß etwa zehn auf zehn Zentimeter. Dem Etikett konnte ich entnehmen, dass das Stück Kunststoff ehemals zu einer Flasche ›Rote Schorle‹ gehörte.
Jacques beobachtete mich lächelnd.
»Gell, da weißt du jetzt nicht wirklich was damit an zufangen, oder?«
»Ich muss zugeben, ich habe nicht den blassesten Schimmer.«
»Dann lass dich mal aufklären. Das kannst du nämlich als Polizeibeamter vielleicht mal gebrauchen.«
Er nahm mir das Stück Plastik aus der Hand und hob es in die Luft.
»Damit, mein lieber Reiner, öffne ich dir jede Tür, die ins Schloss gefallen ist und nicht zugeschlossen wurde.«
Irritiert schaute ich ihn an.
Ȁh, damit habe ich zwar bisher noch keine Erfah rungen, ich
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