Eros und Asche
Eine stumme heftige Rede.
Abends das Familienessen in der Küche – Sohn und Tochter kamen im letzten Moment an den Tisch, wie immer, und nach dem letzten Bissen verschwanden sie wieder, wie immer. Und doch sind diese Abendessen innig, weil nichts Inniges verlangt wird. Die Eltern trinken Wein, die Kinder heben ihre Wassergläser, und man achtet darauf, nichts zu sagen, das den Familiensee, auf dem alle treiben, unnötig in Bewegung bringen könnte, und versucht doch, etwas loszuwerden. Dem Vater fällt dieser balancierte Umgang schwer, besonders mit seiner Tochter (13), und M. wäre schon an solchen familiären Vorsichtsmaßnahmen gescheitert, nur dass er in dem Bereich gar nicht scheitern wollte, also hat er ihn links liegen lassen – mehr ein Ehe- und Familienvermeider als Gegner. Das Äußerste war für ihn die eheähnliche Verbindung, letztlich sogar ohne Vollzug. M. wollte seine Wünsche nicht im Körper der eigenen Frau oder Gefährtin vergraben, bis in Ausnahmeminuten die Saat aufginge, er wollte diese Ernte mit einer Geliebten im Handstreich einfahren, was ihm auch lange geglückt ist. Und am Ende, als es nicht mehr glückte, hat es nur Stille hinterlassen, die Stille in einem Theater nach dem letzten Schrei. Bei einem der Telefonate, die er vom Krankenbett aus führte, nicht sicher, ob er wieder auf die Beine käme, sprach ich von Havanna, der Stadt, die wir schon zu Schülerzeiten hatten ergründen wollen und die ich jetzt vorhatte zu besuchen – was ich ihm aber nicht sagte, nur schien er es zu wittern; denn auf einmal bat er mich, mit dem Havanna-Gerede Schluss zu machen, scheinbar im Spaß, aber es war kein Spaß. Ich hörte ihn atmen in seinem Zimmer, das tragische Atmen von einem, der nicht mehr machen kann, was ihm sein Gesicht früher alles erlaubt hat, und ich erzählte von einem Roman, den ich in Havanna vorantreiben wollte, eine Ehegeschichte sei das, von der ich nur den Anfang hätte, hundert Seiten, aber M. hörte gar nicht zu, er hatte das Gefühl, ich würde ihn schonen, mit dem Erzählen von einem Buch statt vom Leben, obwohl er ja selbst um Schonung gebeten hatte, und ich musste versprechen, falls ich je nach Havanna käme, ihn von dort anzurufen. Dann wieder sein Atmen, bis er sagte, er sei jetzt müde – den Satz, auf den ich früher im gemeinsamen Zimmer immer gewartet hatte, während er noch rauchte und las und ich zur Wand gedreht wachlag. Er fügte dem kleinen, ungewohnten Satz allerdings noch etwas hinzu: Tragisch aber wahr – drei Worte, die schon fast untergingen in seinem Lachen über sich selbst.
Er und die Müdigkeit, das passte nur im Innersten zusammen, sein waches Gesicht sprach bis zuletzt eine andere Sprache. Zum Lebenstragischen von M. gehörte im Grunde und etwas dahergesagt also auch eine genetische Tragik – der Begriff hätte ihm gefallen –, die sich darin gezeigt hat, dass er nach etwas aussah (Kriegsreporter, Schatzgräber, Arzt zwischen den Fronten etc.), was er weder mit Leib und Seele war noch mit aller Kraft anstreben konnte. Er musste damit leben, einerseits überschätzt zu werden und andererseits, in dem was er war – geistesgegenwärtig wie kaum ein anderer –, verkannt zu bleiben; seine Tragödie war die eines begnadeten Schauspielers, der es nie auf eine große Bühne und nie auf eine Leinwand geschafft hat (während die eher zweitrangige Tragödie oder genetisch bedingte Lebensironie des schreibenden Freundes darin besteht, dass man ihm sein Tun nicht ansieht: Ich gleiche nicht dem, was ich schreibe und auch nicht dem, wie ich schreibe). M. hatte die beste Voraussetzung zum Schwindeln, man hätte ihm ein Dutzend Biografien abgenommen, aber als Schicksalsschwindler war er nie unterwegs; seine Tiefe war echt, er musste keine falsche vortäuschen (und er brauchte auch meinen Brief mit dem Schlusssatz zu diesem Punkt nicht). Ihm reichten die Legenden um sich, wie die des ewigen melancholischen Fahnenflüchtigen, der so gern an der richtigen Front wäre, aber leider den Krieg durchschaut hat.
Nachmittags in der Pferde-Idylle der Tochter, Ställe in einem Feuchtgebiet ohne Stromanschluss, wildes Stadtrandglück. Wir sind in der engen Box, ich sehe beim Putzen des Pferdes zu, sie macht es hingebungsvoll, dieses Säubern, Striegeln und Herrichten. Und danach ihr Reiten mit schöner Ruhe, sogar beim Galopp – sie ist dem Tier zugeneigt, aber zeigt auch die nötige Stärke. Eine geliebte fremde Tochter, dem Vater wohl nur zugeneigt, wenn er nicht
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