Eros und Asche
die Katastrophe, die dort immer noch in einer scheinbar unendlichen Schleife zu sehen war. M. riet mir davon ab, durch Drehbücher auch in Zukunft Geld zu verdienen, er sah darin die Vorstufe zum Selbstverkauf ans Fernsehen, mit der Folge, dass man kein vernünftiges Buch mehr schreiben könne, den Roman über uns, dachte er vielleicht schon. Und drei Jahre später kam der Mahner, nunmehr arbeitslos, bei einem Telefonat vom Krankenbett aus auf das Bahnhofsgespräch zurück; der schreibende Freund moderierte inzwischen die Sendung nach eigenem Konzept, inhaltlich war daran nichts auszusetzen, nur färbten die Umstände nach M.s Ansicht ab, vor allem das Bunte. Und obwohl wir telefonierten, schien er mich, durch seine Stimme hindurch, mit anderen Augen anzusehen, als sei ich schon Teil jener Fernsehoperette, die wir immer verspottet hatten. Fehlt nur noch, sagte er, dass die Sendung deinen Namen trägt, das wäre das Ende, der Idiotenstatus. Nur hat der Sender vorher das Problem für uns beide gelöst, und wir haben nie mehr darüber geredet, wozu auch.
Heute in der Post ein Brief von A., eine der beiden Schwestern, deren Leben wir, mit einem römischen Kloster als Ausgangspunkt, durcheinander gebracht haben. Ich hatte sie um ein Foto aus dieser Zeit gebeten, und nun liegt es vor mir, neben dem zweiseitigen, eng beschriebenen Brief. Sie entschuldigt ihre hastige Schrift und kommt dann mit Einzelheiten unserer Rom-Woche (in der sie schwanger geworden war), wie dem Besuch der Etruskergräber bei Tarquinia oder dem Erklimmen der Regenrinne, um die Klostertür von innen zu öffnen, aber auch der kleinen Lesung oben auf der Spanischen Treppe. Sie geht darauf nicht im Einzelnen ein, sie erwähnt es nur, in einem Ton, als würde sie von gestern reden, wie dieser ganze Brief aus einer anderen Gegenwart zu kommen scheint, jedenfalls nicht aus der einer Frau meines Alters, die ein Leben mit zwei Kindern an der Seite eines Chefarztes, seit kurzem pensioniert, hinter sich hat. Am Ende schickt sie mir noch Grüße von ihrer Schwester G., deren drei Worte in der Regenrinnennacht so überraschend und erschreckend waren. Und das kleine Schwarzweißfoto zeigt uns alle vier beim österlichen Frühstück auf einer Terrasse – M. sieht in die Kamera, eine Zigarettenschachtel in der halb erhobenen Hand, während ich ein Brot streiche (in der etwas krummen Haltung, die mein Sohn heute hat). Die Freunde sitzen sich an dem runden Tisch gegenüber und folglich auch die Schwestern; G., in einem Faltenrock und in Schuhen mit maßvollen Absätzen, reicht ihrer Schwester gerade einen Teller mit Belag, und A., deren Gesicht mein Haar halb verdeckt, hat ihren traurigen Engelsblick, leicht vorbei an den österlichen Eiern in der Mitte des Tisches. Die Sonne scheint, es ist früher Vormittag; die Beine der schmiedeeisernen Stühle werfen lange dünne Schatten.
H., die längste und finale Gefährtin von M., bittet mich, möglichst bald nach Berlin zu kommen, um den Bücherbestand zu sichten. Sie könne die Kisten nicht unbegrenzt lagern, erklärt sie am Telefon, und ich schlage ein Wochenende im Juni vor, verknüpft mit der Lesung in Hamburg. Anschließend ein Blättern in den alten Hyperions , in seinen letzten Jahren das wichtigste Buch für M., er hatte es immer wieder gesagt; und in der Insel-Ausgabe, Leipzig, eine unterstrichene Stelle mit drei Ausrufezeichen, die er mir vom Krankenbett aus gleichsam zum Geschenk gemacht hatte, indem er sie nüchtern in den Hörer sprach und damit annehmbar in mein Ohr, nachdem ich noch einmal auf die Streitnacht von Ravello gekommen war. »Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht (sagt Hyperion am Anfang des ersten Buches zu Bellarmin), wenn die zarte Welle der Luft mir um die Brust spielt. Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf in den Äther und hinein ins heilige Meer, und mir ist, als öffnet’ ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben der Gottheit.« Ein hingesagtes, also flüchtiges Geschenk, verknüpft mit Verachtung für jeden, der es nicht empfangen und festhalten konnte. Aber so waren seine seltenen Gaben, auch die bleibenden.
Eins der wenigen Geschenke von Bestand, die mir M. gemacht hat, war das Philips-Doppelalbum von Benny Goodmans berühmtem Carnegie Hall Jazz Concert vom 16. Januar 1938, ein Album mit Textseiten von Irving Kolodin und Hüllen für zwei Platten, das Ganze geheftet mit einer Spirale, wodurch es unter allen aufgestellten
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